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Die XrWinnspalcetc

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I Als der Dichter Pankraz Scheibein noch über seinen weißen, schön geglätteten Papierbogen saß und in zierlicher Schrift ein Wort nach dem anderen darauf hinlegte, da war er noch glücklich, denn es fiel ihm eine Menge bedichtenswerter Dinge ein, er kramte nur so in seinen Erinnerungen, die er zu einem wichtigen Werk gestalten wollte. Und wenn wirklich eines Tages Hindernisse in den Weg traten, vielleicht weil er schlecht geschlafen hatte oder die Kräfte der Erinnerung ausblieben, da brauchte er nur seinen Schreibtisch ein wenig zu öffnen, ein kleines Blättchen daraus hervorzunehmen und seine Nase daranzuhalten, da waren alle Schwierigkeiten behoben, die Phantasie war wieder da und half, daß seine Erlebnisse richtig Gestalt wurden.

Dieses zartbemalte Blättchen war nämlich von sehr weit hergekommen, aus einer Hafenstadt am Ozean, aus Nantes, der Stadt der heiligen Anne. „Fleurs de la mer“ stand darauf, und so roch es auch wie die rauhen Nelken und die anderen kargen Blumen der Heiden am Meeresstrand. In ihnen ist der Duft des Meeres, die Frische der Winde und die Weite des vielbewegten Himmels. Pankraz Scheibein hatte das Duftkärtchen nicht etwa von Nantes selbst mitgebracht, er war nie dort gewesen. Diese Landschaft lag nur in seiner Sehnsucht, es war sein ungestillter Wunsch, einmal dahinzukommen, und darum glückte es ihm auch, wenn er an dem Kärtchen roch, daß er bald den zerrissenen Faden in seinem Manuskript mit einem anderen verknüpfen konnte. Das Kärtchen hatte ihm die Tochter seiner Nachbarin geschickt, weil sie wußte, daß Pankraz ein Dichter war und dafür Verständnis hatte. Sie hatte nach Nantes geheiratet.

Daß sein Buch fertig wurde, bewirkte also auch das Kärtchen „Fleurs de la mer“ in der Schreibtischlade. Pankraz ward jeden Tag glücklicher. Aber daß sein Buch gedruckt wurde, dazu konnte es nicht mehr helfen. Da ward Pankraz wieder mit jedem Tag trauriger, denn er hatte so große Hoffnungen auf sein Werk gesetzt. Er hatte es einem Freund Bibliothekar zum Lesen . übergeben, und dieser hatte ihm nach aufmerksamer Lektüre gesagt: „Da steckt viel Schicksal darin, nun hast du es überwunden. Vielleicht wird es ein großer Erfolg werden, ich kann es nicht sagen. Zumindest möchte ich das Buch, nachdem es erschienen ist, gern in meiner Bibliothek aufstellen, wenn du mir ein Exemplar widmest; denn du weißt: das Sammeln von Büchern ist meine Lebensaufgabe.“

Ein bekannter Buchdrucker hatte eine ähnliche Meinung von des Dichters Berufung und empfahl ihm, seinen zukünftigen Verleger nur ja vertraglich zu bestimmen, das Buch bei ihm drucken zu lassen. Er würde ihm die schönste Type widmen und überhaupt an seine Ausstattung die größte Sorgfalt verwenden, aus Freundlichkeit, wie er sich denken könne. Nur müsse ihm ein Verlag den Auftrag geben.

In diesem Glauben bekräftigte ihn auch ein bekannter Zeitungskritiker, der freilich vielmehr unter Freunden die Zeitungen kritisierte, als in einer Zeitung selbst seines Amtes waltete. Aber Pankraz hatte vor seinen Aussprüchen Respekt, er hatte auch kein ungeschmälertes Lob erwartet, aber wenn dieser sagte, daß er sich schon freue, dem Buch seine würdigende Kritik angedeihen zu lassen, dann mußte doch etwas Gutes, etwas Verheißungsvolles an seinem Werk sein. Selbstverständlich, erklärte der Kritiker, er könne nur Bücher besprechen, wenn sie der Verleger aussende, gedruckt und gebunden... denn die Zeitungen, diese verdammten Zeitungen ...!

Auch das sah Pankraz eilfertig ein und verdammte mit ihm nur halb die Zeitungen; denn man konnte nie wissen, wie 6ehr man am Ende das Entgegenkommen der Presse doch brauchte. Nun hatte er also sdion drei Menschen für sein Buch gewonnen, sie hatten ihn nicht entmutigt, sie waren auch für den Weg seines Buches in die Öffentlichkeit notwendig, den Drucker, den Kritiker und den Bibliothekar. Zu deren anerkennenden Urteilen gesellte sich noch ein weiterer Chor freundlicher Stimmen. Nun schickte Pankraz Scheibein sein Manuskript an den Verleger, den einzigen, den er im Auge hatte. Es kam lange nicht zurück. Dann kam es endlich doch, und Paniraz hielt es wieder in den Armen, wie ein Kind; er freute sich über den Unverstand der Lektoren, die sich einmal grün und gelb ärgern würden. Er schickte es an mehrere Verleger zugleich, schön mit der Maschine geschrieben und vervielfältigt, es kam von .überall zurück und hatte arg gelitten.

Pankraz Scheibein hatte eine wirtschaftliche Frau. Sie konnte das nicht mit ansehen, wie man die Porti für die Pakete so verpulverte. So sagte sie es ihm. Er aber war unerbittlich, den er trug den Glauben in sich. Er erzählte ihr nicht gerade von den Worten des Buchdruckers, aber von denen des Bibliothekars, der ein Gelehrter war, und der sich darauf verstehen mußte. Seine Versendungen setzte er fort.

Mit wie schönen Worten die Verleger das Manuskript bedauernd zurücksenden mußten! Einige freilich sprachen auch von „zu bieder“, „zu langatmig“, sie wollten Aufregendes und Spannung. Aber sie würden schon einsehen, daß er dies nicht fertigbrächte, weil er eben ein Dichter sei. Und für Dichter wäre die Zeit nicht.

Pankraz verfiel einem Lastsr: wenn wieder ein Manuskript zurückkam, wie ein Bumerang, den er ausgeschickt hatte, schalt er die Verleger: „Sie werden mein Buch schon noch zu meinen Bedingungen annehmen, Albine!“

„Ja“, sagte die Frau und hatte noch Mitleid mit ihm, weil sie soeben einem Bettler vor der Tür zehn Groschen geben durfte.

Ach, dachte Pankraz, der ihre Leidenschaft kannte, Tag für Tag gibt sie den Bettlern, die sie nur ausnützen, eine Menge Kleingeld, und über meine Briefmarken lästert sie.

Als solche Gedanken ihm eines Tages laut und vernehmlich entschlüpften, ohne daß er es gerade wollte, da hatte er im häuslichen Raum den Krieg angesagt. Der Krieg war in seine Ehe eingefallen.

Pankraz begann vor den zurückkehrenden Bumerangs zu zittern, obwohl er sich sagte, daß ihm aus der Feindschaft seiner Frau ein neues Thema für seinen nächsten Roman erwüchse. Aber wann würde er wieder schreiben? Einstweilen fielen die Manuskripte wie Kartätschen auf den Kriegsschauplatz ein, nicht immer durch die Türspalte, öfter verlangte der Briefträger Zoll- und Zustellgebühren, auch Strafporti, und Pankraz zahlte ohne viel Umstände. Dann war es immer unendlich still in der Wohnung wie in der Landschaft vor dem Sturm. Es war nicht die Landschaft, wo die „Fleurs de la mer“ wuchsen. Das Kärtchen konnte ihm jetzt auch nicht helfen.

Die Butterschlange auf seinem Frühstückstisch wurde täglich kleiner, und eines Tages fand Pankraz auf seinem Täß-chen statt der Butter nur einige gebrauchte Briefmarken liegen. Der Ernst seiner Lage war auf dem höchsten Punkte. Er ging zum Angriff über. Uber der Türglocke brachte er ein Schildchen an. darauf hatte er geschrieben: Für Bettler läuten zwecklos! Es kann nichts mehr gegeben werdenl Doch Albine strich kurzerhand diese Mitteilung durch. Die Bettler fanden das verständlich und aufmunternd und kamen in doppelter Zahl.

An einem Morgen kam seine Frau in das Zimmer gestürzt. Sie schwang in der Hand ein Paket. Ach, Pankraz hätte sich am liebsten unter der Decke verkrochen. Sie schleuderte es ihm fast entgegen voll Wut. „Wieder ein Wahnsinnspaket!“ rief sie.

Pankraz tat, als träume er noch. „Wie meinst du ...?“ fragte er.

Aber Albine hatte sich in den Lehnsfuhl gesetzt und wetterte auf den Armen los. So mußte es kommen, dachte Pankraz. Sie versteht mich nicht, es ist symbolisch. Als sie sich erhob, hatte sie wieder einmal von Wahnsinn gesprochen. Das war kein schöner Morgen, sagte sich Pankraz, gewiß nicht... und sie ist nicht meine Muse.

Albine hatte gedroht, mit den Wahnsinnspaketen nächstens den Ofen zu heizen. Das nahm Pankraz den Rest von Ergebenheit und Vertrauen. Er dachte nicht, daß seine Frau ja nie selbst den Ofen anheizte, weil sie ihre netten kleine Hände schonen wollte. Für die schmutzige Arbeit hatte sie eine arme Frau als Bedienerin. Das hätte Pankraz bedenken müssen, während er fürchtete, daß Albine ihre Drohung verwirklichen könnte. Lieber wollte er ihr zuvorkommen und selbst sein Buch, sein teures Buch, den Flammen übergeben. Er opferte keine Briefmarken mehr, sammelte seine Kinder, bis er sie alle drei schön maschingeschrieben und auch das handschriftliche Exemplar, das er für ein staatliches Archiv aufbewahrt hatte, wieder in Händen hatte.

Es war eines Abends zu später Stunde. Albine war bereits schlafen gegangen. Nun mußte er zur Tat schreiten. Sorgsam legte er die vier Manuskripte überein-andergeschichtet in den Ofen. Es ging schwer, aber es ging. Wie ein Dieb ging er um, mit aller Vorsicht, er durfte nicht mit der Ofentüre Lärm schlagen, sonst wäre Albine aufgewacht. Pankraz hatte alles getan. Er sah nicht mehr rechts und links, er saß da und war tief unglücklich.

Aber plötzlich überkam es ihn. Er wollte doch noch sein Werk brennen sehen. Es ging nicht wegen Albine. Aber vor das Haus konnte man laufen und dem Rauch zusehen, der aus dem Schornstein stieg, das würde sie nicht stören. Er lief in Pantoffeln vor das Haus. Natürlich stieg der Rauch auf, gerade in den Sternenhimmel; es war seine Seele darin, die Seele des Dichters. Und als Pankraz das entdeckte, fand er auch ein Vergnügen daran, dazustehen, ein wenig zu frieren, während seine Seele den Weg antrat zu den Sternen. So war es eigentlidi auch mit dem Ruhm, und man konnte sich aussöhinen mit dem Schicksal. Sein Buch hatte den höchsten Ruhm erlangt.

Aber es kam anders. Anstatt das Feuer neu zu entfachen, hatte Pankraz das Feuer mit den großen Paketen erstickt. Da lagen sie nun die ganze Nacht im Ofen, und als am Morgen die Bedienerin kam, stustzte sie. Dann zog sie mit Kräften die Paptiere wieder ans Licht. Sie nahm sich Zeit ;und las sogar ein wenig. Dann schüttelte sie den Kopf. Es rührte sie, daß soviel ArJbeit des Herrn umsonst sein sollte, denn sie hatte vor geistiger Arbeit Respekt. Sie wußte auch nicht von Abdrucksrechten.-und dergleichen. Da sie wenig Zeit hatte, ntahm sie den Pack unbesehen und trug ihn zu dem Bruder ihres Mannes, der RedaktLons-diener bei einer kleinen, ganz kleinen Zeitung war. Dort suchte man honorarfreie Romane. Der Redakteur las das Manuskript sogar mit Interesse, er sagte .'sich, seine Leser würden vielleicht Gefallen daran finden. Er druckte es ab, natürlich ohne Bezahlung.

Und da las auch Pankraz Scheibein seinen Roman und war wie von einem Dachziegel getroffen. Er zwickte sich in die unbedeutenden Waden, nur um sich zu überzeugen, ob er nicht träume. Ein Wunder war geschehen. Jetzt wird der Erfolg nicht mehr ausbleiben, sagte er sich. Jetzt wird ihn eine große Zeitung lesen und ich werde endlich Bedingungen diktieren dürfen, .i

Aber da hätte er lange warten können. Und wäre nicht über Nacht Revolution in der Literatur ausgebrochen, ein neuer „Ismus“ geboren worden — ja, das gab es noch vor einer Anzahl von Jahren, da unsere Geschichte spielt —, säße Pankraz heute noch und wartete. Aber die Neuen griffen wieder zu den altbewährten Überlieferungen. Es schrieben viel zu viele im Land, so hieß es. Man müsse wieder von vorne anfangen. Man verfiel auf das kleine Blättchen und darin auch auf Pankraz Scheibeins Lebensroman.

Das Buch machte wirklich seinen Weg, wie ihn Pankraz Scheibein gewünscht und erträumt hatte. Und wenn sich auch jedermann fragte, wieso das gekommen sei. so hatte man doch Staunen und Bewunderung für das sonderbare Schicksal um diesen Roman. Mehr als von seinem Inhalt sprach man von diesen äußeren Zufälligkeiten. Pankraz hatte im Taumel des Glücks 6eine Freunde vergessen, den Drucker, den Kritiker, und den Bibliothekar. Er erinnerte sich auch nicht mehr des Rauchs, der vom Schornstein der Nachbarwohnung aufgestiegen war und den er mit dem der eigenen verwechselt hatte, j

War es nun besser, daß damals die Seele seines Werkes nicht zu den Steinen hinauffuhr?

Ja, man weiß nicht, wozu die Frauengut sind, dachte sich Pankraz. Denn Albine war es doch, die ihn bestärkt hatte in dem Vorsatz, die Wahnsinnspakete in den Ofen zu legen. Und man muß es auch zur richtigen Zeit tun und darf keineswegs wissen, daß das Feuer schon ausgegangen ist oder die Bedienerin einen Scnwager bei der Zeitung hat. Man muß mit dem höchsten Einsatz spielen und es darauf ankommen lassen. Dann vielleicht, dann glücki. es einem.

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