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„Und ward doch nicht verzehrt“
Dies ist die Geschichte einer einfachen Frau, die in einer deutfchen Stadt während des Krieges den Beruf einer Judenmetzig ausübte, die Geschichte der Frau Walker, die dazu bestimmt worden war, an jedem Freitag zwischen 17 und 19 Uhr an diejenigen Markenfleisch abzugeben, welche, durch einen gelben Stern kenntlich gemacht, im Amtsblatt als „nichtarische Bevölkerung“ bezeichnet wurden. Da kann nun diese Frau, während sie ihre Arbeit verrichtet, Einblicke in Verhältnisse tun, die ihr bisher unbekannt waren — und die ihr Leben völlig verändern. Sie wird zur Vertrauten und zur Helferin der Verfolgten und Verachteten, sie lernt sie kennen: die Aengstlichen und die Aufbegehrenden, die Frommen und die Abtrünnigen. Und dann erlebt sie die Geschichte mit dem Kinderwagen der Frau Zalewsky. Diese, eine kurz vor der Entbindung stehende Musikerfrau, erfährt durch das Geschrei eines betrunkenen schwarzuniformierten Untermenschen, der die tägliche Fleischausgabe überwacht und mit höhnischen Bemerkungen begleitet, daß sie in den nächsten Tagen nach Auschwitz geschickt werden soll. Am Abend vor ihrem Abtransport kommt die Jüdin zu der deutschen Frau und sagt: „Ich habe Ihnen den Kinderwagen da gebracht. Sie waren gut zu mir, all die Zeit. Ich habe gedacht: vielleicht können Sie ihn einmal brauchen, Frau Walker, später.“ Da hat die einfache deutsche Frau begriffen, wieviel die Uhr geschlagen hat:
„Wenn es so ist, daß eine, die ihr Kind erwartet, den Kinderwagen hergeben muß, weil man über sie und über das Ungeborene ohne Grund ein Todesurteil gesprochen hat wenn das in der Welt ist, dann kann es nicht mehr gut werden. Das kofhmt nicht mehr ins Gleichgewicht. Und eigentlich ist nichts anderes mehr möglich als dies: daß alles gut aufgeräumt wird — im F e u e r." Dann kommt die Schicksalsnacht mit dem schweren Luftangriff auf die deutsche Stadt. Wohl hört die Frau die Sirenen heulen, aber sie bleibt in ihrer Wohnung, zu dem wilden Opfer entschlossen, in den feurigen Ofen zu kriechen. Wie durch ein Wunder wird sie aus dem brennenden Haus gerettet, denn „der Eine, der hier aufrechnen könnte, der wird sagen, daß ihm solche Opfer nicht gefallen, daß er nicht Aust hat am Brandopfer’ und am .Fett von den Gemästeten’, sondern am geängsteten Geist und am zerschlagenen Herzen". So beantwortet der Autor, der evangelische Theologe und Dichter Albrecht Goes, die Frage nach der Zulässigkeit und dem Sinn des Brandopfers. Und stellte ihm jemand die andere Frage, zu welchem Ende er solches Geschehen beschwöre, so antwortet er ihm: „Nicht, damit der Haß dauere. Nur ein Zeichen gilt es aufzurichten gegen das Zeichen des Ewigen, das lautet: Bis hierher und nicht weiter!“
Dr. Helmut A. Fiechtner
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