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Zehn sehr zufällige Erinnerungen an die 30er Jahre

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Auf der Opernkreuzung,

über dem Kopf

des Verkehrspolizisten,

entrollte sich auf dem Lichtmast

um zwölf Uhr mittags

eine Hakenkreuzfahne.

Der Beamte notierte

die Nummer eines Autos

das vorschriftswidrig geparkt war.

Der Polizeipräsident Aliens teilte mit: Trotz umfangreicher Nachforschungen fehlt von den Tätern jede Spur. Das vorschriftswidrig geparkte Automobil kann es nicht gewesen sein.

Unbekannte,

so stand in der Zeitung,

zerschlugen am Montag

alle Apparate

der Telefonzellen

am Schottenring.

Unbekannte,

so stand in der Zeitung,

sprengten am Dienstag

einen Lichtmast,

bei dem Umspannwerk

in Favoriten.

Unbekannte,

so stand in der Zeitung,

legten am Mittwoch

eine Brandbombe

vor die Tür des Juweliers

Abraham Goldstein.

Unbekannte, Unbekannte,

Unbekannte, immer wieder von Montag bis Sonntag. I Ieil Hitler war auf das Pflaster geschmiert.

Ich bin doch kein Selbstmörder, dachte der Mann. Natürlich,

die Burschen kamen

mit schweren Kisten.

Was sich darinnen befand?

Ich habe darüber nicht nachgedacht.

Ich bin doch

kein Selbstmörder.

Ein unabhängiges Gericht verurteilte zwei Naziführer zu vierzehn Tagen Arrest, weil sie im Waldviertel Anweisungen gaben, Papierböller vor allen Gendarmerieposten, Bezirkshauptmannschaften und Häusern der Heimatschützer zur Explosion zu deponieren.

Ein unabhängiges Gericht

verurteilte einen Bäckerlehrling

im Leobener Kreisgericht

zu sechs Jahren schwerem Kerker,

weil in dessen Wohnung

zwei Pakete Flugzettel

der Kommunisten

gelagert worden waren.

Der Oberste Gerichtshof

verwarf die Nichtigkeitsbeschwerde.

Ich werde mir

doch nicht selbst

mein Grab graben,

dachte der Mann.

Sie schlugen

bei Siegfried Mandl

die Auslagenscheiben ein.

Er war mein größter

Konkurrent,

dachte der Mann.

Nein, ich kannte

keinen von ihnen.

Ich werde mir

doch nicht selbst

mein Grab graben.

Nicht alle Studenten trugen weiße Stutzen, manche kamen mit Stiefeln und schwarzen Breecheshosen. Jene in Sport- oder gar in dunklen Anzügen, wurden gelegentlich verdroschen. Die Herrn Professoren sprachen vom arischen Ethos. Der Mann auf der Straße sagte, gebt es dem Judengesindel.

Räumen Sie

den Sprengstoff weg,

sagte der Revierinspektor,

am Tag bevor er

mit seinen Reamten

die Hausdurchsuchung

durchführte.

Die ersten

Hakenkreuzarmbinden,

die ich 1938 sah,

waren jene

an den Ärmeln der

Uniformen

der Wiener Polizisten.

Das Standgericht wurde wieder eingeführt. Der erste zum Tode Verurteilte war

der Sohn eines reichen Bauern, der seine schwangere Geliebte' aufs grausamste abgeschlachtet hatte.

Er wurde vom Bundespräsidenten zu lebenslangem Kerker begnadigt.

Der Herr Rundespräsident

war bekanntermaßen,

ein frommer katholischer Christ.

Der zweite, der vor das Standgericht kam, war ein Landstreicher.

Er hatte einen Heustadel aus Rache in Brand gesteckt. Sein Gnadengesuch verwarf der Bundespräsident. Der Henker meldete den Vollzug der Hinrichtung

mit den Worten: Der Gerechtigkeit ist Genüge getan.

Trotz aller Uneinigkeit, trotz Haß und Mißtrauen von rot und schwarz, riefen im historischen März die verfolgten Arbeiterorganisationen aller Schattierungen, zur Wahl für ein unabhängiges Österreich auf!

An dem Tag, da diese

hätte stattfinden sollen,

überschritten die Verbände

der deutschen Armeen

die Grenzen, gerufen

von einer gefälschten Depesche!

Im April stimmten dann

alle, Verfolgte und Verfolger,

für den Anschluß an Deutschland.

Die Männer mit den Stahlruten

standen hinter dem Tisch mit der

Urne

und garantierten eine freie Wahl. Auf dem Heldenplatz

waren sie zu Tausenden

aufmarschiert, um

den großen Sohn der Heimat

mit donnerndem Heil zu grüßen!

Die ganze Welt hat es

gehört und die Wochenschau

zeigte die Bilder

der jubelnden Ostmärker.

Von den Verhaftungen Tausender Sozialisten, Kommunisten und vaterländischer Österreicher, hörte und sah die Welt weder in der Presse noch in den Wochenschauen. Daß jüdische Bürger vogelfrei wurden,

fanden die meisten selbstverständlich.

Schon im Mai bildete sich die erste Widerstandsgruppe. Elf Todesurteile wurden gefällt.

Alois Vogel, 73,

ist Lyriker und Autor mehrerer Romane, in denen Geschichte aus der Sicht der Betroffenen („Geschichte von unten”) dargestellt wird „Schlagschatten ” behandelt den Februar 19)4, „Totale Verdunkelung” den Krieg, „üas blaue Haus ” Emigrantenschicksal in Österreich Über Vogel liegt eine Dissertation in Neuseeland vor, in Polen wird derzeit eine geschrieben.

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