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Die Goldene Bulle der Kirchenmusik

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Der Tag der Kirchenmusik stand dieses Jahr im Zeichen einer besonderen Feierlichkeit: dem goldenen Jubiläum des „Motu proprio“, jener Bulle Papst Pius X., die man als das kirchenmusikalische Gesetzbuch bezeichnen kann. Ihre säkulare Bedeutung, die, der gottesdienstlichen Musik wiedergab, was ihrer ist, und was ihr durch die Einflüsse ihrer weltlichen Schwester vielfach verloren gegangen war, findet im sakralmusikalischen Schaffen der letzten 50 Jahre überzeugenden Ausdruck, und spiegelt sich nicht zuletzt in den kirchenmusikalischen Veranstaltungen anläßlich ihres Jubiläums. Die Wiener Katholische Akademie, die Abteilung für Kirchenmusik an der Staatsakademie für Musik und die Wiener Difcesankommission für Kirchenmusik luden gemeinsam zu einer festlichen Gedenkfeier im Prälatensaal des Schottenstiftes, bei der Regierungsrat Prof. Dr. Franz Kosch über Pius X. als Kirchenmusiker und Univ.-Prof. Dr. Leopold Nowak über das Motu proprio in seiner Bedeutung für die Musik sprachen. Ihre Vorträge wurden von lebendiger Kirchenmusik verschiedener Zeiten und Stile umrahmt: gregorianischer Choral, Palestrina und Moderne, letztere durch die Uraufführung von Ernst Titteis „Haec dies“, erklangen in der vorbildlichen Wiedergabe des Akademie-Kirchenchore und der Choralschola. In seiner SehTußansprache kündigte Erzbischof-Koadjutör Dr. Jachym den Internationalen Kirchenmusikkongreß für Herbst 1954 in Wien an. — Daß unter den Hochamtsmusiken dieses Tages Palestrinas Missa Papae Marcelli im Vordergrunde stand, entspricht dem Geiste des Motu proprio ebenso wie die Uraufführung neuer Kompositionen, die von ihm angeregt und befruchtet sind, und von denen insbesondere das Te Deum von Anton Heiller und Joseph Kronsteiners Pius-Messe genannt seien. Die Bestrebungen, den gregoriani- .sehen Choral im Volke wieder heimisch zu machen (eine Hauptforderung des Motu proprio), weisen die Kirchenchöre in erhöhtem Maße auf die Gesänge des Proprium, während das Ordina-rium in einer Choralweise vom Volke oder der Pfarrjugend gesungen wird. Auch diese Idealform fand und findet immer weitergreifende Pflege. Die wirkende Kraft des Motu proprio erweist sich an seinem goldenen Jubiläum nicht nur ungeschwächt, sondern ständig zunehmend.

Das Requiem von Verdi erhielt unter dem Dirigenten Franco C a p u a n a ein markant verdisches Profil, darin einige Züge überraschend wirkten. Rhythmischer Straffung der Chöre stand ariose Lockerung gegenüber, und manche Farbigkeit des Orchesters mag zunächst grell erschienen sein, erwies sich jedoch stets der inneren Dynamik entsprechend. Hervorragend schön die solistischen Leistungen von Hilde Zadek und Marianne Radev, sowie die ausgewogenen Klanglinien des Chores, dessen Decrescendi wohl zu den schönsten überhaupt gehören.

Der junge Pianist Gilbert Schuchter bot ein imponierendes Programm, das er überraschend geschickt und draufgängerisch, wenn auch nicht schlackenlos bewältigte. Die innere Schwierigkeit von Schuberts c-moll-Sonate (op. posth.) zeigte sich seiner Gestaltungskraft (fast möchte man sagen: Frühreife) zugänglicher als die große f-moll-Sonate op. 5 von Johannes Brahms, die gelegentlich noch sehr äußerlich dynamisch „überwunden“ wurde. Auch der — übrigens blitzsaubere — Anschlag müßte noch von seiner Steife erlöst werden und mehr dem Singen des Themas als seiner Kantigkeit nachgehen. Doch bleibt des Positiven genug vorhanden.

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