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Eigenwilliges England

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Zu den 21. Nymphenburger Sommerspielen haben sich eine Reihe vortrefflicher Kammermusikvereinigungen zusammengefunden, darunter das Stuttgarter Kammerorchester unter der Leitung von Karl Münchinger, das Hausegger-Kam- merorchester unter Stabführung Felix Prohaskas, das Kammermusik- ensemble Zürich, das Münchner Kammerorchester unter seinem Dirigenten Hans Stadlmair, das Vegh-Quartett und das Deller -Con- sort aus London. Aber nicht nur die Auswahl der Interpreten ist färbig und anregend, sondern es gelingt den „Freunden der Residenz" auch immer wieder, für Überraschungen und Entdeckungen zu sorgen. Neben Bach, Vivaldi, Mozart, Salieri, Haydn, Beethoven und Schubert konnte man vom Deller-Consort eine Messe für fünf Stimmen von W. Byrd, englische Madrigale, Lieder von Purcell, französische Chansons und Madrigale von Monteverdi hören. Schon am Eröffnungsabend kamen die Feinschmecker klassischer Musik auf ihre Kosten, als Walter Tramp- ler — ein seit 30 Jahren in den Vereinigten Staaten lebender und wirkender Münchner Bratscher — Hindemiths „Trauermusik für Viola“ sowie die „Elegie für Viola“ von Strawinsky vortrug und in Vivaldis Konzert für Viola d’amore a-Moll sich zu glanzvollem Spiel mit Karl Münchinger und seinem Stuttgarter Kammerorchester vereinigte. Im vergangenen Jahr feierten die Nymphenburger Sommerspiele ihr twanzigjähriges Jubiläum. Es ist bezeichnend für die Initiatoren dieser, aus dem Münchner Musikleben nicht mehr wegzudenkenden Veranstaltungen, daß sie sich nicht durch die äußerst herzlichen, bisweilen überschwenglichen Gratulationen des Jubiläumsjahres saturiert und selbstgefällig geben, sondern erneut ein Programm bieten, das in seiner Konzeption eine durchaus eigenwillige Prägung aufweist und auch das Experiment nicht scheut, was die beiden Erstaufführungen „Timon von Athen“ und „Diokletian“ von Henry Purcell beweisen.

Shakespeares „Timon von Athen“ wurde von Thomas Shadwell, etwa 70 Jahre nach der Entstehung, in einer Neufassung dem Herzog v- n Buckingham vorgelegt und dem Zeitgeschmack entsprechend aufgeführt. Die einzige Möglichkeit, der Geschichte vom reichen Timon — der nur auf seine Freunde zählen kann, solange er sich in seinem Reichtum sonnt, später aber von Geld und Freunden verlassen, als verbitterter Menschenfeind zugrunde geht — ein heiteres Zwischenspiel abzugewinnen, bot sich Shadwell am Ende des ersten Aktes, in dessen

Verlauf Timon seine Gäste mit einem Miaskenspiel unterhält. Henry Purcell erhielt den Auftrag, diese Szene in Musik zu setzen. Das Werk zeigt jedoch — wird es, wie hier, in konzertanter Form interpretiert — wenig Substanz und auch das Hausegger-Kammerorchester unter Felix Prohaska fand keinen rechten Zugang zu dieser Gelegenheitsmusik. Was spielerisch und verspielt hätte wirken sollen, erschien mühevoll und aufgesetzt, die mageren Späße und Witzeleien fanden kein Echo, zumal die Londoner Saltire Singers chemisch ein sehr Lobenswertes Ensemble darstellen, solistisch aber den Nymphenburger Erwartungen nicht gerecht werden konnten. Ein völlig anderes akustisches Bild bot die Wiedergabe der Musik zu „Diokletian“ oder „Die Wahrsagerin“. Hier offenbarte sich plötzlich die ganze Genialität Purcells. Die Entfaltung des Bühnenzaubers dieses, von zwei Zeitgenossen Shakespeares verfaßten Schauspiels, rief alle Geister des großen Briten auf den Plan. Nymphen, Faune, Schäfer und Bacchanten geben sich ein turbulen tes Stelldichein und der Schlußchor preist den Sieg der Liebe über das Erdenrund. Da wäre freilich eine stattliche Portion Skepsis anzumelden, aber Felix Prohaska entzündete sich mitreißend an der barocken Pracht dieser Partitur, der vortreffliche Kammerchor der Musikhochschule Hannover verströmte Klangfülle und Musizierfreude, die brennenden Kerzen erwärmten die Gemüter, der Wettergott hatte ein Ein sehen und in rötlicher Abendsonne erglühten die Wandgemälde des Steinernen Saales — Nymphenburg hatte uns wieder!

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