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Virtuosen

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Yuri Termirkanow, der Chefdirigent des Zweiten Symphonieorchester der Leningrader Philharmonie, eröffnete den Zyklus „Die Große Symphonie“ im Musikverein. Bei der Aufführung von Rachmaninoffs „Zweiter“ (e-Moll) fühlte er sich am meisten zu Hause. Steigerungen in russischer Breite aufzubauen, üppig fließende melodische Ströme kraftvoll zu bündeln und mit großzügigem Gestus auszuspielen, das liegt ihm. Er versteht es, die Symphoniker zu Monumentalität anzuhalten, Kontraste scharf zu zeichnen: etwa wenn melancholisch verblühende Möllphrasen von derber Bauerntanzrhythmik oder wild-düsterem Jagen weggefegt werden. — Französisches Kolorit ist bei ihm allerdings weitaus schlechter aufgehoben. Ravels D-Dur-Klavierkonzert „für die linke Hand“ geriet zu derb. Immer wieder hemmte er den freien Lauf der Instrumentalarabesken, statt sie rasant vorbeihuschen zu lassen. Die Verkrampfung löste sich erst allmählich im Finale. Leonhard Hokanson trumpfte als Solist virtuos auf. Melodienschmelz wie knatternde und prasselnde Verzierungssalven serviert er mit Grandezza. Das Rasante ist seine Sache. Die Ausflüge in lyrische Passagen sind bei ihm ganz persönliches Erlebnis. Recht gemütlich wirkte die Wiedergabe von Debussys „Nachmittag eines Faun“. Pariserisches war da kaum zu spüren und noch viel weniger von der Hitze arkadischer Landschaft. Diesem Faun blieb bestenfalls ein geruhsamer Schlaf nach üppigem Mittagmahl. Ereignis des ersten Konzerts im Symphonikerzyklus im Musikverein war die Wiedergabe von Mahlers „Kindertotenliedern“ durch die englische Sängerin Anna Reynolds. Ihr warm timbrierter, geschmeidiger Alt, den man bereits bei den Festwochen in der Aufführung von Beethovens „Neunter“ unter Kara-jan schätzen gelernt hatte, bewährte sich ausgezeichnet. Ausdruckstiefe verbindet sie mit klanglicher Reinheit und makelloser Technik. Das Publikum war von der herbstlich weich getönten Aufführung zu Recht begeistert. Viel zu selten erlebt man Schmerz, Leiden Sehnsüchte in Mahlers Liedzyklus derart geläutert, zugleich so schlicht, ohne Pathos und überflüssige Dramatisierung. Die Symphoniker unter Josef Krips ließen sich davon inspirieren, begleiteten mit Einfühlung. Eher mühevoll ja zäh geriet Mozarts Es-Dur-Symphonie (KV. 543),. korrekt und wohlproportioniert Brahms' „Zweite“.

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