6726733-1965_34_15.jpg
Digital In Arbeit

Von der ,klassischen' zur ,modernen' Antike

Werbung
Werbung
Werbung

Uber den Bregenzer Festspielen 1965 waltet Segen. Dies gilt nicht nur für die Auswahl der Stücke; das Wetter war den Spielen auf dem See gnädiger als in manchen sonnigen Jahren.

Ein Erlebnis, für welches das Prädikat „einmalig“ keine Uber-treibung bedeutet, war „Sappho“.

„Sappho“ bedarf einer ganz großen Darstellerin. Judith Holzmeister ist eine solche, die über alle Register von Ruhm und Glück über die Verzweiflung zur Resignation verfügt. Heimo Gautier war als Melitta ein würdiges Gegenstück, ein eben erwachendes Kind, das durch den Mann in den mörderischen Gegensatz zu ihrer Wohltäterin gerät. Die Rolle des Phaon ist schwer zu spielen; gar leicht wird er zum antiken Playboy. Jürgen Wilke verstand es insbesondere in den Szenen mit Melitta, menschliche Wärme zu finden. Dazu kommen Hella Ferstl als Eucharis und Josef Krastel als Rhamnes, um das grandiose Spiel bis in die letzte Einzelheit abzurunden.

Es war ein guter Gedanke der Festspielleitung, den seit mehreren Jahren unterbrochenen Brauch, den Sonntagvormittag der österreichischen Meisteroperette von Johann Strauß bis Franz Lehar zu widmen, wieder aufzunehmen. Auch die heitere Muse hat ihr Recht, und vergäße man der Operette, fehlte ein Stück aus dem bunten Mosaik österreichischer Kultur. Hier konnte man Friedrich Nidetzky, Karl Terkal, Rudolf Christ, Herbert Klomser, Hilde Konetzni, Elfriede Pfleger, Birgit Sarata und Hanni Steffek, nicht im Flitter des Kostüms, sondern als Menschen wie du und ich sehen und hören. Das Publikum ging in einer wahren Begeisterung mit. Souverän regierte Generalmusikdirektor Professor Kurt Wöss die Solisten, die Wiener Symphoniker, und nicht zu vergessen, den prachtvollen Bregenzer Festspielchor.

Auch das Ballett auf dem See führte ins klassische Hellas; der Wagemut der Bregenzer Festspielleitung brachte „Die Irrfahrten des Odysseus“ des Linzers Prof. Helmut Eder auf die Riesenbühne über dem Bodensee. Hier konnte der See gewaltig mitspielen, da der Kampf um Troja und die Heimkehr des Odysseus mit dem Wasser verbunden ist. Das Bühnenbild von Walter Hoesslin hat die Möglichkeiten großartig ausgeschöpft, sowohl in den Massenszenen, für die Grete Volters die Kostüme entwarf, wie in intimen Bildern, so dort, wo sich Odysseus im Schattenreich von Teiresias weissagen läßt. Der kolossale Aufwand an Menschen und Kostümen wird durch Licht- und Wassereffekte von einem barocken Ausmaß, das in dieser Form sogar für Bregenz ein Ereignis ist, wirksam unterstützt.

Die Musik ist ein modernes Klangbild für großbesetztes Orchester der Wiener Symphoniker. Beim „Gesang der Sirenen“ wird sogar mit elektronischer Musik eine irreale Wirkung erzielt. Odysseus (Willy Dirtl) hat neben vielen Kampfszenen drei Pas de deux zu tanzen, mit der verführerischen Circe, der mädchenhaften Nausikaa und der treuen Penelope, die durch die selbe Gestalt (Lisi Maar) verkörpert werden. Die die Szenen beherrschende Pallas Athena wurde von Ully Wührer getanzt, da Christi Zimmerl durch einen Unfall bei der Probe ausfiel.

Während die Musik nicht jedermanns Sache, sondern Experiment ist, ist die optische Bildwirkung über jedes Lob erhaben. Formen und Farben zaubern ein schönes Bild an den nächtlichen Bodensee.

An verregneten Abenden brachte das Wiener Staatsopernballett „Giselle“ von Adolphe Adam in die Stadthalle. Dieses Ballett hatten wir schon 1958 gesehen, der Vergleich gab zur Feststellung, wie viel Bregenz in diesen sieben Jahren gelernt hat, Anlaß. Ein Wiedersehen gab es auch mit dem „Barbier von Sevilla“ vpn Rossini, der schon im Jahr 1955 auf dem Spielplan von Bregenz stand. Wieder dirigierte der berufenste Rossini-Interpret, Vittorio Gui. Die' Aufführung war eine Spitzenleistung der Italienischen Oper, die in Bregenz ihren zehnjährigen Bestand feiern durfte und damit ihr Heimatrecht erworben hat.

Die Bregenzer Festspiele 1965 waren ihres 20-Jahr-Jubiläums würdig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung