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4000 Objekte zerbröckeln

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Was vom Himmel fällt und einst in großen Tonnen aufgefangen wurde, um damit die Wäsche besonders schön zu waschen, ist längst nicht mehr „weiches“, sprich an gelösten Stoffen armes Wasser. Regenwasser ist heute verdünnte Säure, und seine Wege über die Fassaden graben sich tief in zersetzten Sandstein.

In allen Städten, und längst nicht nur in den großen, geht heute, längst nicht mehr langsam, aber sicher, sondern nur noch sicher, unersetzliche Bausubstanz zugrunde. Die wichtigsten Zerstörungsfaktoren sind die Abgase der Autos, die sich gerade dem Sandstein gegenüber besonders aggressiv verhalten, aber auch die Gasschwaden aus zahllosen Industrieschornsteinen, kleinen und großen, ferner der Regen, der alles, was Menschen und Kunstwerken schadet, in gelöster Form enthält, verschiedene auf dem Stein siedelnde und diesen zersetzende Bakterien, Algen, Pilze und Flechten und nicht zuletzt die Tauben.

Unter allen diesen Zerstörungsfaktoren gibt es lediglich die Tauben schon immer, und nur ihrem Zerstörungswerk kann heute bereits wirkungsvoll Einhalt geboten werden. Dabei muß man nicht gleich an das Tauberivergiften im Park denken. Plastiken und Fassaden werden heute nach Renovierungen mit einer Unzahl von Drahtstiften versehen und oft zusätzlich mit Drahtnetzen geschützt, um den Tauben das Verweilen und damit auch das Ablagern ihrer steinerweichenden Stoffwechselprodukte zu verleiden. Allerdings: Die Tauben sind immer noch phantasievoller, als man glaubt.

Das einzige Mittel gegen die Allgegenwart der Autoabgase wäre die totale Einstellung des Autoverkehrs, und dieses Mittel ist aus psychologischen wie wirtschaftlichen Gründen ungangbar. Die Menschheit nimmt dem Kraftfahrzeug zuliebe Übel auf sich, die nicht weniger schwer wiegen als die Zerstörung der überkommenen Bausubstanz. Ein Kompromiß bahnt sich in abgasärmeren Motoren an. Ist es erst einmal soweit, werden die Abgase noch immer dieselben gefährlichen Stoffe enthalten — aber in geringerer Menge. Auf die Dauer wären trotzdem alle Steinfiguren und Steinfassaden aller Städte der Welt zum Tode verurteilt.

Es sei denn, es gelingt, sie dem Zugriff der in Luft und Regen enthaltenen Stoffe zu entziehen.

Noch gibt es kein Mittel dazu. Abgesehen von den Kosten. Österreich hat rund 40.000 denkmalgeschützte Objekte — Kirchen, Häuser, Schlösser, Bildstöcke und so weiter. Nicht weniger als 40 Prozent weisen bedenkliche Schäden auf, rund 4000 Objekte sind akut und schwer gefährdet. Alles, was das Bundesdenkmal-amt tun kann, sind Rettungsmaßnahmen fünf Minuten vor zwölf. Mehr ist mit dem Geld, das diesem Land seine Kunstsubstanz wert ist, nicht zu machen.

20 Millionen Schilling wendet Österreich pro Jahr für die gesamte Denkmalpflege auf. In der Tschechoslowakei steht allein für die Restaurierung von Gemälden der zehnfache Betrag zur Verfügung.

Das heißt in Wien: Selbst an prominentesten Bauwerken ist der Verfall stellenweise erschreckend weit vorgeschritten, zweit- und drittran-giges, zumal wenn in privater Hand, wird bis zum Kulturmord vernachlässigt. Die Entwicklung des Autoverkehrs und der Industrie stellt die Denkmalschützer vor chemische und technische Probleme, für deren Lösung oft noch jede Handhabe fehlt. Besonders gefährdet ist alles, was aus Sandstein ist. Und gerade aus Sandstein ist vieles aus Wien.

So zum Beispiel, als ein Fall unter vielen, die Säulen der Michaeler-kirche, die bereits viele Restaurierungsspuren aufweisen; der bekannte gotische Bildstock im Michae-lerdurchgang in unmittelbarer Nachbarschaft ist in einem erbarmungswürdigen Zustand, was aber, da er in einem versteckten Winkel steht, kaum jemandem auffällt. Gegenwärtig wird intensiv an der Votivkirche gearbeitet, wo die Restauratoren dem Pilzbefall mit einer neuartigen Paste zuleibe rücken, die es ermöglicht, die schwarzen Krusten des Pilzbefalls schonend zu entfernen.

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