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Abschied von Vorau

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Ich erinnere mich noch genau des Tages, an welchem wir aus dem Hause zogen. Jahre und Jahrzehnte wohnt man in einem Hause, eine Stunde vergeht wie die andere, ein Tag wie der andere, und niemals, meint man, könnten die Stunden, die Tage anders vergehen. Aber dann kommt doch der letzte Tag, dann kommt doch die Stunde, welche die letzte ist, und keine andere folgt ihr mehr nach. Wir hatten jenen Teil unserer Möbel, der mit uns gehen sollte, bereits vorausgeschickt, einzelne Zimmer standen schon leer, in den anderen fehlten die Möbel da und dort, und wo sie gestanden hatten, gab es andersgefärbte, häßliche Stellen an den Wänden. Zudem hatte man mit dem Umbau im Hause bereits begonnen. Es , sollten Büroräume eingerichtet werden. Die alten, äußerst starken Mauern wurden durchstoßen, die Arbeiter fluchten über die sinnlose Dicke der Mauern, und ein Wabenwerk neuer, lächerlich dünner Zwischenwände ward in die großen Räume gezogen. Auch die meisten Fenster wurden weiter ausgebrochen, damit mehr Licht und mehr Luft eindringe, es sollte alles viel besser, gesünder und praktischer werden. Der Lärm der Arbeiten hallte durch das Haus, es klang wie Sturmböcke, mit denen man gegen die Mauern rannte, alle Türen standen offen, und der Wind ging durch die offenen Türen, er irrte in den Zimmern umher und weinte und wußte nicht mehr, wohin er sollte. Wir gingen die Treppe hinab, und ich hatte das Gefühl, daß wir das Haus nicht hätten im Stich lassen sollen, um keinen Preis, es war alles ein einziger Vorwurf, aber zuletzt hatten wir's dennoch aufgeben müssen, und alles andere auch.

In der Einfahrt stand unser Wagen, der nicht mehr uns gehörte. Die Pferde, die auf die Trensen bissen, wie sie es seit eh und je getan hat-

Zum 75. Geburtstag Lernet-Holenias erschien im Paul-Zsol-nay-Verlag, der das Gesamtwerk des Dichters seit vielen Jahren betreut, unter dem Titel „Wendekreis der Galionen“ ein stattlicher Prosaband, der drei der charakteristischesten Kurzromane Lernet-Holenias enthält: „Riviera“ (1937), „Die Inseln unter dem Wind“ (1952) und „Der junge Moncada“ (1954). Eine ausführliche Besprechung bringen wir in einer der nächsten Nummern der „Furche“.

F. ten, standen mit einem überflüssigen Aufwand von Mähnen und Schweifen im überflüssig verzierten Geschirr vor dem fast schon überflüssig gewordenen Wagen, wir stiegen ein, überflüssigerweise breitete man auch noch eine Decke über unsere Knie, und mit einem sinnlos und leer gewordenen Donnern der Hufe, das überflüssig laut in der Einfahrt widerhallte, zogen die Pferde an, und der Wagen rollte aus dem Hause.

Auf dem Wege zur Bahn schloß ich die Augen, um nichts mehr von Vorau zu sehen, und in der Bahn dachte ich darüber nach, warum jetzt soviel Unheil geschähe und warum früher verhältnismäßig sowenig Unheil, ja warum überhaupt sowenig geschehen war. Vielleicht hatten die ahndevolleren Geschlechter der Vorzeit noch gefühlt, daß das wenigste zum Heil führe und daß das meiste zum Unheil führen müsse, während alle Welt nun tat, als könne von ihrem Tun nur Segen und von der Tatenlosigkeit nur Unsegen kommen; so daß denn auch wir selbst, ahnungslos, alles erfanden, alles erschufen, alles taten, was uns unser Verstand, zu unserem Verderben, riet. Forwährend übersahen wir die Zeichen des Endes.

Aus „Die Inseln unter dem Winde“

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