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Aldeburgh-Spektakel

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Im Rahmen des diesjährigen Aldeburgh-Festivals fand in der Jubilee Hall die Uraufführung von Thea Musgraves neuer Oper, „Die Stimme der Ariadne“, statt. „The last of the Valerii“, eine Erzählung von Henry James, liegt dem Libretto zugrunde. Die Handlung spielt 1870 in Rom, wo Marco Valeri, der letzte Sproß einer alten, adligen Familie, von einem „Experten“ die Statue einer auf seinem Besitz vergrabenen Juno ausgraben läßt. Um der obsessiven Betörtheit Marcos durch die fremde Göttin ein Ende zu bereiten, läßt Martha, die amerikanische Gattin des Grafen, die Statue wieder eingraben.

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Im Rahmen des diesjährigen Aldeburgh-Festivals fand in der Jubilee Hall die Uraufführung von Thea Musgraves neuer Oper, „Die Stimme der Ariadne“, statt. „The last of the Valerii“, eine Erzählung von Henry James, liegt dem Libretto zugrunde. Die Handlung spielt 1870 in Rom, wo Marco Valeri, der letzte Sproß einer alten, adligen Familie, von einem „Experten“ die Statue einer auf seinem Besitz vergrabenen Juno ausgraben läßt. Um der obsessiven Betörtheit Marcos durch die fremde Göttin ein Ende zu bereiten, läßt Martha, die amerikanische Gattin des Grafen, die Statue wieder eingraben.

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Die Geschichte wird von dem Patenonkel der Gräfin erzählt. Zwei Hauptpersonen und zwei Komparsen sind die einzigen Gestalten dieser überaus prägnanten Geschichte, die sich vorzüglich für eine einaktige Kammeroper geeignet hätte. Thea Musgrave ließ es aber nicht dabei bewenden.

Mit entwaffnender Offenherzigkeit äußerte sie sich in einem Radio-Interview über die Wahl des Themas und die Entstehungsgeschichte des Werkes. Sie ließ sich durch die Erzählung von Henry James anregen, weil sie bereits seit geraumer Zeit nach einem Thema suchte, in dem ein „Tonband genau seiner wirklichen Bestimmung gemäß“ eingesetzt werden könnte und eine Geistergeschichte ihr dafür das geeignete Vehikel schien. Die Fassung in drei Akten ist darauf zurückzuführen, daß sie den ersten Akt mit dem Grafen, den zweiten mit der Gräfin und den dritten mit dem Paar beenden wollte. Die Erfindung der vielen neuen Gestalten begründet Amelia Elguera, die Librettistin, damit, daß sie schließlich drei Akte vor sich hatte, während Thea Musgrave wohl eher die Möglichkeiten für Ensembles und Kontraste im Auge hatte. Nur so läßt sich der Auftritt der amerikanischen Mrs. Tracy, einer imposanten Erscheinung mit transatlantischen Allüren und des italienischen Baldovino, eines schmächtigen Aristokraten mit romantischem Anstrich, der realistischen, intrigierenden Marchesa Bianca Bianchi und des idealistischen, schmachtenden Mr. Lamb erklären.

Die Statue der Erzählung wird in der Oper durch einen leeren Sockel ersetzt, „der sich so viel leichter transportieren läßt“ und außerdem den Schlußeffekt ermöglicht, wenn die Gräfin den Sockel besteigt und sich in die von ihrem Gatten vergeblich gesuchte Ariadne verwandelt. Außerdem kommt die Stimme nun wirklich von nirgendwoher, aus dem Äther, ist also für Thea Musgraves Begriff wahrscheinlich doppelt so

tonbandgerecht. Die Idee stammt von Amelia Elguera und sowohl Komponistin wie Spielleiter erklärten sich unter der Bedingung damit einverstanden, daß die Ausgrabungsszene und das symbolische Blutopfer beibehalten würden. Die Göttin Juno von Henry James wurde in dem Libretto durch eine Ariadne ersetzt, weil eine Göttin fehl am Platz gewesen wäre und die Identifizierung der in Rom vernachlässigten Gräfin mit der auf Naxos zurückgelassenen Ariadne sich mühelos bewerkstelligen ließ. Endlich kommt die Rede auf die Herstellung des Tonbands unter Mitwirkung Richard Rodney Bennetts. Erst wurde die Stimme von Joan Davies auf Band aufge nommen, dann auf zwei Kanälen ge legentlich mit sich selbst kontrapunktiert. Durch Beisteuern von „Echo“ wurde Ferne, durch diskrete Verwendung von weißem Rauschen Sturm und Wogengang vorgetäuscht. Ad libitum-Stellen wurden, eingebaut, um den Künstlern eine gewisse

Freiheit zuzugestehen und „dadurch ihre Ausdruckskraft zu steigern“.

Die formale Anlage der Oper ist klar und übersichtlich. Jeder der drei Akte endet mit einer Ariadneszene: der erste mit einem Monolog des Grafen und der „Stimme“ im Hintergrund, der zweite mit einem Monolog der Gräfin, die sich wie durch ein Wunder in die verlassene Heldin verwandelt, der dritte mit einem Duett, wenn das Paar, endlich vereint, einem neuen Leben entgegengeht.

Die Ausgrabungsstätte im Park der Valerii, die Räume der Villa, die Straßen Roms und die Felsen der Insel Naxos bilden die Kulisse der verschiedenen Szenen. Arioso und Arie, Monolog, Duett, Terzett und Ensemble, instrumentale Vor-, Nach-und Zwischenspiele, Buffo-Episoden und dramatische Konflikte sind geschickt verteilt. Diatonik ist den unbeschwerten Szenen vorbehalten, zunehmender Spannung entspricht zunehmende Chromatik.

Mit geringen Mitteln (13 Instru-mentalisten, ein Tonmeister und acht Sänger) wurden erstaunliche Effekte erzielt. Die Uraufführung gestaltete sich zu einem durchschlagenden Erfolg für alle Beteiligten. Die English Opera Croup spielte unter der Leitung der Komponistin. Jill Gomez (Sopran) war der Star des Abends. Die Spielleitung lag in den Händen Colin Grahams, Peter Whiteman oblag die Bühnengestaltung.

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