Schwein - © Foto: iStock / bazilfoto

Schweinischer Spickzettel

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Stellungnahme eines Schweins.

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Stellungnahme eines Schweins.

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Ich bin ein Schwein. Ich sage das in aller Offenheit und nicht, weil ich unter Anklage stünde oder gar eine Sünde mich drückte. Sondern weil ihr derzeit sehr viel über Schlachter redet und Fleischfabriken. Aber ihr sprecht da bevorzugt über Menschen, also über euch. Ich bin in dieser Angelegenheit Subjekt und Produkt, das Schwein am Rande. Aber wer wäre berufener zu diesen wahrhaft schweinischen Zeiten Stellung zu nehmen, wenn nicht ein Schwein?

Wir Schweine haben viel mit unseren Schlachtern gemein. Ihr haltet uns in Massenquartieren, behandelt uns schlecht und seht nicht gerne dahin, wo wir sind.

Zunächst sei bemerkt, dass wir viel mit den Schlachtern gemeinsam haben. Wir sind für euch unerlässlich wie sie, ihr wollt uns so wenig sehen wie sie, ihr haltet uns in Massenquartieren, wo man euresgleichen auch nicht oft sieht. Und da es für mich scheint, als wüsstet ihr nicht gerne, was ihr tut, will ich es euch noch einmal berichten. Wir sterben für euer Leibeswohl und -fülle gut und gerne 47-mal pro Sekunde. Wenn ihr also diese Kolumne in fünf Minuten fertig gelesen haben werdet, werden etwa 1500 meiner Spezies getötet worden sein. Ich erspare euch die Details, ihr findet sie im Internet. Es ist eine unangenehme Sache für ein Tier von vergleichsweisen hohen kognitiven Fähigkeiten.

Vom Glücks- zum Drecksschwein

Und warum das alles, also besser gefragt, warum ausgerechnet wir? Nun, Schweine sind Allesfresser, das macht uns billig. Denn ihr konntet uns von gesunder Waldbodennahrung auf euren Müll umstellen. Ihr nanntet das nobel Domestifikation. Ich sage euch, selten wurde jemand dabei so schmutzig wie wir Schweine. Im Griechenland zu Demeters Zeiten haben wir noch Fruchtbarkeit und Glück symbolisiert. Aber davon zeugt nur noch das Marzipanschwein zur Jahreswende. Gemacht wurden wir zu einem jener Tiere, die man tot und unkenntlich (als Schnitzel, Kotelett …) sehr viel lieber hat als lebendig. Damit es keine Flachsen gibt, wird zart und jung geschlachtet. Mit sechs Monaten ist das Leben der meisten Schweinskollegen schon vorbei. Und ihr schlachtet viel zu viele.

Seit Jahrzehnten wisst ihr, dass euer Fleischkonsum zu hoch ist. Ihr esst zu viel vom Falschen, 65 Kilo Fleisch pro Person und Jahr. 20 und weniger wären angemessen. Jeder von euch könnte sich dann ein Biostrohschwein mit artgerechtem Leben und Sterben leisten. Und was macht ihr? Ihr esst billig Industriefleisch, es macht euch krank und hässlich – und ihr esst noch mehr. Corona hat diesem Paradox noch ein Krönchen aufgesetzt. Das Virus hat eure Schlachthäuser zu Umschlagplätzen der Krankheit werden lassen und zu einer Gefahr für alle, die dort arbeiten.

Und was macht ihr? Ihr sperrt eure Schulen zu und lasst eure Schlachthöfe offen. Ihr nennt das „die Grundversorgung sichern“. Viel bleibt da nicht zu sagen. Es ist so. Ihr seid so. Und ich bin nur ein Schwein. Ihr nennt mich dumm.

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