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Ansichten eines Nichtexorzisten
Eine fast alltägliche Geschichte: Ein Mädchen leidet an seltsamen Symptomen. Besessenheit oder Nichtbesessen-heit, das ist hier die Frage. Man will nichts unversucht lassen, man bringt das Mädchen zu einem Mann, von dem
man sich Hilfe verspricht.
Hiersein Bericht: „Ein Bruder bringt seine Schwester, welche behauptet, mitten in ihrer Brust wohne der böse Geist. Sie wisse vom Teufel viel, der Teufel aber wisse von ihr alles: auch die geheimsten Gedanken. Er regiere, leite und beherrsche sie.
Ein Narr sei ihr Bruder, noch dümmer sei der Pfarrer, der allerdümmste aber sei der Arzt. Warum? „Weil sie immer sagen, ich solle einen anderen Kopf aufsetzen, meine Torheiten ablegen und ihnen folgen.“
„Wenn einmal der Teufel in einem herrscht“, fügt die Kranke bei, „dann hat der eigene Kopf das Regiment verloren!“
Es ist nicht zu sagen, wie heftig und unbändig wild die Arme gegen die drei genannten Persönlichkeiten wütete. Hätten dieselben ruhig geschwiegen -sie wußten ja, wen sie vorsieh hatten -
sie hätten die Kranke nicht in so gewaltige Aufregung versetzt, und ich hätte leichter getan.
Bei derlei Kranken kommt alles, ja alles auf die Behandlung an. Ich widersprach ihr mit keinem Worte und sagte bloß: „Ja freilich, in deinem Innern steht es nicht gut.“
Damit war die Kranke zufrieden, und ich hatte sie auf meiner Seite. Sofort faßte sie Vertrauen, wie ihre Antwort bekundete. „Wenn mir einer nicht
glauben will“, so lautete diese „daß ich den Teufel in mir habe, so wird er ihn auch nicht austreiben können.“
Dieses Vertrauen heißt bei mir jedesmal so viel als: die Kranke ist bereits zur Hälfte geheilt, und deine Arbeit ist mehr als zur Hälfte getan.
Soweit der Bericht, dem noch zweiunddreißig Zeilen über die Therapie
folgen. Wer ist oder wer war jener Mann, dem die Wiederherstellung des gestörten Vertrauens wichtiger schien als der Ruf nach dem starken Exorzisten? Sein Name lautet: Sebastian Kneipp. Sein Beruf: katholischer Pfarrer in Wörishofen bei Türkheim in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Therapie: die von ihm entwik-kelte Wasserkur.
„Ein Punkt ist wohl zu beachten, weil da so gerne Täuschungen vorkommen“, schreibt der im Jahre 1852 unter ande-
rem zum Exorzisten geweihte Kneipp: „Man bleibe bei der Beurteilung solcher Zustände recht nüchtern, lasse sich selbst den Geist nicht einnehmen.
Nicht genug kann ich warnen vor jenem voreiligen, so überaus törichten Gebaren, welches alsbald übernatürliche, besonders teuflische Einflüsse hellsehen will.
In Fällen selbst, in denen jedermann fast hätte glauben müssen, der leibhaftige Satan herrsche in dem Kranken, hat der einfache kalte Strahl ihn vertrieben.“
Der 1897 verstorbene bayrische Pfarrer, der nicht genug warnen konnte vor dem „überaus törichten Gebaren“, sofort Pech und Schwefel zu schnuppern, war rechtgläubiger Katholik, später auch als päpstlicher Geheimkämmerer hervorgetreten.
Aus der reichen Erfahrung seeU und leibsorgerischer Praxis kommt der tagtäglich mit bayrischen Phänomenen konfrontierte Kneipp zu folgendem Urteil:
„Mir kam in meiner ganzen Praxis nicht ein einziger Fall vor, in dem natürliche Mittel, recht angewendet, nicht geholfen hätten. Ich klammere mich fest an den Glauben und an das Übernatürliche wie an ein Rettungsboot und möchte - Gott bewahre! - kein Strichlein und kein Pünktlein dieser Glaubensüberzeugung aufgeben. Nie aber möchte ich den Glaubensfeinden eine Handhabe reichen zum Spotte oder Angl ffe auf den Glauben.“
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