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Bernhards Es ist alles egal

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Die autobiographische Betrachtung „Der Keller“ von Thomas Bernhard beschreibt laut zutreffendem Untertitel „eine Entziehung“: Mitten auf dem Schulweg, ins verhaßte Gymnasium, hatte er sich, im 16. Lebensjahr, dem Studium, seinen Erziehern, dem bisherigen Lieben entzogen. „Gerade hatte ich neue Schulbücher eingekauft, neue Hefte“, und „urplötzlich die Trennung vollzogen“. Er ging gerade, wie jeden Tag, auf das Haus zu, „in welchem der Sohn des Regierungsrates auf midi wartete, gleich werde ich läuten“, und zu zweit „ins Gymnasium gehen, dachte ich. In diesem Augenblick hatte ich kehrt gemacht und bin zurück“, und zwar, wie dem Leser oft und oft, kursiv gesetzt eingeprägt wird, „in die entgegengesetzte Richtung“. Gemeint: was den künftigen Morgenweg und was den künftigen Lebensweg betrifft. Er „wollte von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr eines der Tausende und Hunderttausende und Millionen Lernmaschinenopfer sein und drehte mich um und ließ den Sohn des Regierungsrates allein seinen Weg gehn“.

Der 45jährige erzählt, er sei damals, vor 30 Jahren, „um sein Leben gelaufen ... alles zurücklassend, was mir zur tödlichen Gewohnheit geworden war ... und ich flüchtete tatsächlich in Todesangst in das Arbeitsamt“, wo eine wohlmeinende Beamtin dem Gymnasiasten, der er bis zum jäh unterbrochenen Schulweg an diesem Morgen war, vergebens die besten Lehrstellen im Stadtzentrum Salzburgs anbietet. Er aber wollte unbedingt in die entgegengesetzte Richtung, und so zieht sie resigniert endlich aus ihrer Kartei „die schlechteste, die allerschlechteste“ Lehrstelle heraus, beim Greißler Karl Podlaha „in der Scherzhauser-feldsiedlung, in dem absoluten Schreckensviertel der Stadt, an der Quelle fast aller Salzburger Gerichtsprozesse“. Zwar, hatte er zjunüchst „keinerlei Vorstellung, was für eine

Lehrstelle“ er wollte, jedenfalls aber „eine Lehrstelle als Uberlebensstelle“; doch während des halbstündigen Aufenthaltes im Arbeitsamt war ihm klar geworden, „daß nur eine Lehrstelle in Frage kommt, die mich mit möglichst vielen Menschen auf möglichst nützliche Weise zusammenbringt“ und schließlich „stand für mich fest: ich gehe in ein Lebensmittelgeschäft“. Es war ein Souterrainladen. „Und heute weiß ich, daß tatsächlich diese Kellerjahre die nützlichsten Jahre meines Lebens gewesen sind, wie ich weiß, daß die Jahre vorher nicht vollkommen nützlos gewesen waren, aber damals“ dachte er anders. „Die Kellerzeit war vom ersten Augenblick an eine kostbare Zeit“, er verträgt sich mit dem Chef, mit den Kollegen und mit der verwahrlosten Kundschaft, er lebt auf. „Diese Leute hatten nie ein Blatt vor den Mund genommen. Ich hatte nur die kürzeste Zeit gebraucht, um mich an ihre offene Art zu gewöhnen“, der untüchtige Mittelschüler erweist sich als tüchtiger Kaufmann im Proletarierviertel, drei Jahre lang, bis er aus einer schweren Grippe zu früh aufsteht, ins Geschäft geht und „diese eklatante Dummheit bezahlen“ muß mit einer „Krankheit, die mich über vier Jahre lang an Krankenhäuser und Heilanstalten gefesselt hat“.

Selbstverständlich ist der Bericht Betrachtung und Selbstbetrachtung. „Der Mensch verweigert sich der Störung durch den Störenfried. Ein solcher Störenfried bin ich zeitlebens gewesen“ und „geblieben, in jedem Atemzug, in jeder Zeile, die ich schreibe“. Freilich haben wir „nie etwas mitgeteilt, das die Wahrheit gewesen wäre, höchstens der .Versuch', die Wahrheit mitzuteilen“, daher: „Was hier beschrieben ist, ist die Wahrheit und ist doch nicht die Wahrheit“, und so hat die „Leseexistenz noch niemals eine Wahrheit gelesen“, nämlich nichts „als die Lüge als Wahrheit, die Wahrheit als Lüge et cetera“.

Alles ist, wie gewöhnlich bei Thomas Bernhard, in einem Zug geschrieben, erst acht Seiten vor dem Ende macht er einen Absatz und erzählt, quasi als erklärendes Nachwort, wie er „vor drei, vier Jahren“, bereits als arrivierter Schriftsteller auf der Straße angerufen wird. Ein „etwa fünfzigjähriger Mann“, gelehnt „an einen gerade stillstehenden Preßlufthammer“, hat den einstigen Greißlerlehrling erkannt. Sie kommen ins Gespräch und gehen „in den Sternbräugarten hinein auf ein Bier, Wurst und Brot“. Der Mann wollte „wissen, was ich jetzt mache. Schreiben, sage ich, damit konnte er nichts anfangen“, trotzdem wird es ein gutes Gespräch. „Der Mann aus der Scherzhauserfeldsiedlung mit seinem Preßlufthammer hat mir ein Stichwort gegeben“ und zum Abschied „Servus“ gesagt und „es ist alles egal“, und „seine Worte höre ich immer wieder“, welche „obwohl die seinigen auch die meinigen sind“, und auf dieses Paradoxon läuft das Bekenntnis des. Verfassers hinaus. Er schildert leidenschaftlich, wie lebenswichtig und lebensentscheidend — mithin für ihn gar nicht „egal“ — es damals war, „in die entgegengesetzte Richtung“ auszubrechen, um die Freiheit für einen beinahe heiteren Pessimismus zu gewinnen, gipfelnd in der Behauptung als Selbstbehauptung, „es ist alles egal“.

DER KELLER. Von Thomas Bernhard. Residenzverlag, Salzburg, 168 Seiten, ÖS 168,-.

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