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Christkind im November…

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In der Luft gelegen war die Idee ja schon lange. Aber jetzt wird es mit ihrer Verwirklichung ernst: Das Weihnachtsfest soll auf Mitte November vorverlegt werden.

Der erste, der diesen Vorschlag zu publizieren wagte, war ein Vertreter der österreichischen Bekleidungsindustrie. Es wäre doch sinnvoll, meinte er, das Weihnachtsgeschäft etwa in der Mitte der umsatzschwachen Zeit zwischen Sommer- und Winter-Schlußverkauf anzusetzen, statt wie bisher die vom Weihnachtsrummel erschöpften Verkäufer gleich in den Winter-Abverkauf zu hetzen.

Natürlich gab es heftige Proteste der Blumenhändler, denen das Weihnachtsfest zwischen Allerseelen und St. Valentin sehr recht ist. Man könnte aber, formulierten sie ihren Gegenvorschlag, im Sommer ein zweites großes Fest ansetzen, um damit die tote Saison zwischen St. Valentin und Allerseelen zu überbrücken.

Der Kompromißvorschlag kam von der Süßwarenindustrie: Eine Vorverlegung des Weihnachtsfestes käme sehr gelegen, da dadurch die Zeit, die zum Umwickeln der übriggebliebenen Schokolade-Weihnachtsmänner zu Osterhasen zur Verfügung steht, verlängert würde, wodurch Überstunden eingespart werden könnten. Gleichzeitig zeigten sich die Schokoladeerzeuger aber auch von dem Vorschlag begeistert, ein zweites großes Fest im Sommer zu organisieren. Als Thema schlugen sie eine Ölscheichfeier vor, da sich so die Osterhasen- und Weihnachts- männer-Figuren gleich ein drittes Mal verwenden ließen. Der ähnlichen Gestalt wegen, brauche man nur das Stanniolpapier zu wechseln.

Die Banken, denen jeder Termin des Weihnachtsfestes recht war, wenn er hur nicht zu nahe an den Weltspartag herangerückt würde, brachten einen anderen interessanten Vorschlag ein: Statt des bisher üblichen Geschenkaustausches wäre es doch sinnvoll, die dafür vorgesehenen Beträge gleich direkt auf das Bankkonto des zu Beschenkenden zu überweisen. Die Geldinstitute könnten mit Computerhilfe dafür sorgen, daß vom Konto des so Beschenkten ein gleich großer Betrag auf das Konto des Schenkenden zurücküberwiesen werde, wodurch die ständige Peinlichkeit erspart bliebe, von jemandem ein teureres Geschenk zu bekommen als man selbst ihm zugedacht hatte.

Aber dieser Vorschlag ging im wütenden Protestgeheul der übrigen Wirtschaftszweige unter, die mit Recht um ihren Weihnachtsumsatz fürchteten.

Schließlich sprach sich auch noch die Fremdenverkehrswirtschaft für die Vorverlegung des Weihnachstfe- stes aus, die sich dadurch zusätzlich zu den beiden schon Tradition gewordenen Wintersaisonen um Silvester und während der „Energieferien“ noch eine dritte Winterhauptsaison zum neuen Weihnachstfest erhoffte. Den akuten Schneemangel bagatellisierten die Verantwortlichen mit dem Hinweis, daß dafür der Hin- und Rücktransport der Urlauber viel klagloser funktionieren werde.

Nachdem sich also alle für die neue Idee ausgesprochen hatten, blieb auch der Regierung nichts anderes übrig, als - wie immer in solchen Fällen - die Initiative zu ergreifen. So nahm der Handelsminister Verhandlungen mit der Gewerkschaft der Weihnachtsengel auf. Und holte sich kalte Füße: Für diese Frage sei längst nicht mehr die Engelgewerkschaft zuständig, er solle sich an die Gewerkschaft der Handelsangestellten wenden.

Da diese aber schon längst die Abschaffung des Weihnachtsfestes gefordert hatte und - damit’s gleich in einem geht - die Beschränkung der Verkaufszeiten auf einen Vormittag im September, sah er dort wenig Chancen. Er beschloß also, mit dem Christkind direkt zu verhandeln.

Das Christkind empfing den Minister gnädig, hörte sein Anliegen mit ernstem Kopfnicken an und sagte dann mit seiner bekannt glockenhellen Stimme: „Mir ist das völlig egal. Mit Weihnachten habe ich schon lange nichts mehr zu tun!“

Und so werden also ab nächstem

Jahr schon Anfang September die Plastikgutscheinmünzen eines großen Wäschekonzerns als „wirklich individuelles Geschenk“ die „stillste Zeit des Jahres“ einläuten.

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