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Der die das Hechel

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Einer ist liegengeblieben damals im nächtlichen Wald. Den Ueli vom Sohrattenloch hat es erwischt am Hinterkopf. Schrecklich sah er aus — den Kopf nach hinten gerissen, die Augen verdreht, das Maul aus-einandergezerrt. Ich war nicht dabei, als sie ihn fanden am nächsten Morgen und später nicht, die Leute reden ja viel. Und doch kann ieh mir vorstellen, wie er aussah, ziemlich genau. Denn ich habe als Kind einen abgestürzten Hammel gesehen, der muß, als die Geier seine Rippen freilegten, den Kopf in den Nacken gerissen haben. Daß der Schrattenueli lange gelitten hat in der einsamen Nacht, sah man auch seinen Händen an, die hatten sich im Farn verwirrt. Blutkrusten waren wie Flechten über Wams und Gesicht gewachsen. Und wieder einen Tag später schössen, vom Blut getränkt, die Pilze aus dem verborgenen Wurzelgeflecht durch den Nadelteppich empor: Trüffeln, schwarze Trompeten und Becherlinige. Zwar schössen sie nicht, wie Granaten aus der Mündung von Haubitzen schießen, doch im Ver-

• Keine Sprachzertrümmerer. „Unsere gegenwärtigen Dialektlyriker sind durchaus keine Sprachzertrümmerer und -experimentierer, als die sie so gerne hingestellt werden. Dialekt steht auch nicht unter der etablierten Schriftsprache, sondern neben ihr“, erklärte Dr. Hans Haid, der Leiter des „Internationalen Dialektinstituts“, während der „Zweiten Internationalen Arbeitstagung für Mundartliteratur“, die im September in Krems stattfand. „Der Dialekt, der erst in den letzten Jahren wieder literaturfähig gemacht wurde — obwohl er seit dem 19. Jahrhundert etwa bei Reuter, Hebbel, Rosegger und Thoma kontinuierlich seine Spuren hinterlassen hat — darf auch keinesfalls mit jener Sorte von Heimatliteratur verglichen werden, die noch immer das heile Leben im Dorf von einst besingt“, betonte Dr. Haid. Der Dialekt eignet sich nach Ansicht vieler Experten unter anderem auch besonders gut als politische Waffe. Denn er ist eine Sprache, die sich in totaler Freiheit bewegt. Er läßt sich nicht von Grammatikern und intellektuellen Gremien in ein stilistisches Konzept hineinzwängen.gleich zu den Tannen, die wie pfeilbespickte Marterpfähle im Boden stecken und nur weit oben ihre Grünwedel schwenken, stießen die Schwämme doch blitzartig, zumindest recht schnell durch die Decke, durch den Boden, je nachdem.

Natürlich hat keiner gesehen, wie der Ueli durch die Stämme kippte. Man versteckt sich besser im Dik-kicht, wenn sowas geschieht, und schleicht sich dann weg. Die hätten sonst fragen können, warum keiner der Beth in den Arm fiel, als sie den Hechel schwang. Man hörte die Äste splittern und wußte, daß die Äste dürr waren und den Schwung nicht zu dämpfen vermochten, die Nägel am Hechelbrett bohrten sich in den Schädel. Daß es Broders Beth war, die zuschlug, wissen wir alle, auch wenn, wie es geschah, niemand zugeschaut hat und die Gerichtlichen noch lange am Fall herumtüfteln. Der Pfarrer hatte nämlich der Beth das Hechel — das oder den, was weiß ich — in die Hand gedrückt, sie sollte es durch den nächtlichen Wald ins Unterdorf tragen, wo anderntags Sohafschur war. Und damit du dich wehren kannst — aber das hat er wohl nicht gesagt, das lag in der Pose, womit er ihr den Stiel in die Hand drückte. Man wußte doch, daß der Knecht des Schrattenlocbbauern, Gott hab ihn selig, scharf war auf die Beth und sie an jenem Abend,auf der Hammelchilbi, mit seinen glasigen Augen angestarrt hatte. Am Tisch unter dem Nußbaum war er gesessen, das Bier zwischen den Fäusten, und hatte zum Tanzboden hinübergeglotzt, wo zwischen den Paaren die Beth sich drehte, den Handrücken in die Hüfte gestemmt und trotzig den Takt auf die Bretter stampfend. Der Senn am Kontrabaß riß den Bogen über die Därme, die Hämmer wirbelten auf den Hackbrettsaiten, die Geiger ließen Jauchzer in ihre Striche springen, nur das Cello wob dunklere Fäden. Beths Blicke sprühten reihum, Beths Arme standen prall aus den Bauschen der Tracht. Beth heißen bei uns auch die Mägde, so war es vielleicht gar nicht Broders Beth, sondern eine, die diente. Und der Schrattenueli ein Bauer, dem etwas gehörte, der hatte vielleicht, als sie unter dem Nußbaum tranken und ihre Augen vom Trinken glasig wurden, vor andern geprahlt, er wolle, wartet nur, 'das verdammte Weibsstück noch kriegen, ihr könnt, daß ihr's glaubt, euch verstecken im Hölioch, heute nach zwölf. Die Geschichte bekommt Konturen.

Ich will mich bemühen, genau zu sein. Der Pfarrer, der durch die Gesichter sieht, gab also der Beth die Hechel (so will es der Duden) mit den aufgespießten Hammelmocken in die Hand. Pflugscharen sollen zu Schwertern wenden und die Hechel zum Morgenstern. Lieblicher Morgenstern — bevor er am Morgenhimmel verblaßte, hatte Ueli, der Schrat-tenlochbauer, ausgelitten, seine Hände schimmerten wie faules Geäst durch den Farn. Was das Hechel-Geschlecht betrifft, weiß ich nicht, wie genau der Duden ist und ob das auch stimmt für unsere Gegend. Und was im Brookhaus steht, daß hecheln mit Bast und offenbar nichts mit Schafwolle — wo bei uns doch die Schafzucht und keine Bastkulturen sind — zu tun hat, paßt auch nicht in meine Geschichte.

Ich will es darum mit Häckel versuchen, ich erinnere mich plötzlich, daß unsere Bauern benagelte Schrubber durch ihre Äckerlein zogen, damit die Kartofifelkeimlinge leichter durch die zerbrochenen Schollen fänden. Einen Häckel also mit Hammelfleisch hatte der Pfarrer der Magd auf die Schulter geladen, und der Schmied hatte, nachdem die beiden Fleischfetzen aus dem Opferlamm gerissen und auf den Häckel gespannt, daneben gestanden und mit blutigen Händen zugeschaut. Ob der Schmied mit dem Fleisch die Waffe entschärfen und der Pfarrer die Stacheln vor den Augen der Feinde verstecken wollte, wie später behauptet wurde, kann ich nicht sagen, der wuchtige Schmiederücken füllte den Türrahmen zur Sakristei oder zur Pfarrküche — so genau war das nicht auszumachen — und mir blieb das Krümmen und Spreizen der hantierenden Hände, worin sich Absicht verraten hätte, verborgen.

Schmiede haben, das gehört zu ihrem Beruf, immer wuchtige Rük-ken, denn wenn die Arme, den Hammer schwingend, aus der Schulter kreisen, geht der Rücken auseinander. Die Beth hatte keinen Schmiedehammer, nur ein Häckel zu schwingen, und weil das Lammstück, das die beiden zuletzt über den Rechen gezogen, unterwegs, als die Beth ihre Bürde von der einen auf die andre Achsel warf, abgefallen war, bohrten sich die Nägel, nachdem sie Äste gestreift und einige dürre von den Stämmen geschlagen hatten, ungehindert dem Ueli, als er abließ von der Beth, in den Hinterkopf.

Ob es nötig war, daß die Beth ihre Häckel schwang, wo der Kerl doch schon abgelassen hatte von ihr, haben viele bezweifelt, ich aber weiß, wieviel tiefer und älter die Not ist, als man das an den steinernen Schranken der Gerichte wahrhaben will, ich weiß, wieviel Not sich in einem Leben ansammeln und plötzlich in einen engen Schwung hineinfahren kann, wenn einer allein ist mit seinem Glauben.

Jetzt ist es heraus, ich rühre in alten Geschichten, leichter wär's, von Herren und Mägden zu schreiben als von der Not, die in beiden steckt, wenn ihr Glaube zu Stein geworden oder mit den Wolken verzogen ist. Als Broders Beth ihren Hechel schwang und der Schrattenlochueli durch die Stämme kippte und der Pfarrer zu gleicher Nachtstunde das Kruzifix küßte — aber ich will die Geschichte nicht zu Ende schreiben, sie ist nur erfunden, erlogen, aus Traurnfetzen zusammengeflickt. Und was sich in meinen Abgründen tut, geht niemand was an. Ob und wen und wie viele ich in einsamen Näeh-ten umbringe, geht niemand was an; solange ihr keine Leichen findet, müßt ihr mich, auch nach euerem Recht, wohl laufen lassen

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