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Digital In Arbeit

Der Freizeitmensch

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Kischling, ein Zeitungsmann der alten Schule, kannte noch jene nostalgischen Zeiten, als Reporter keine freie Zeit hatten. Er freute sich daher über einen Auftrag — nur 17 Tage nach seiner letzten Arbeit.

Interviews gehörten zu den wenigen Tätigkeiten, die Redaktionscomputer noch nicht von allein erledigen konnten. Aber der Computer spie die nötigen Angaben aus: „Statistisch repräsentative Person Nummer 11 — Franz Kramer, 49, verheiratet, zwei Kin-

der, erlernte Berufe 17, 33,128“ -und die dazugehörige Wohnadresse.

Kramer, ein etwas fülliger Mann mit Bauch- und Glatzenansatz, im Trainingsanzug und wohl seit drei Tagen nicht mehr rasiert, lag auf dem Teppich in der Mitte des Zimmers. Um ihn herum standen und lagen in malerischer Unordnung eine halbvolle Flasche Wein, einige Zeitschriften, ein Rätselbuch, Papiere und allerlei Spiele.

„Ich komme von der .Freizeit-Zeitung'“, stellte sich Kischling vor. „Hoffentlich störe ich Sie nicht?“

„Sie stören überhaupt nicht“, sagte Kramer, „ich habe ja genug freie Zeit.“

„Eben darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Wie Sie ja wissen, wurde heute vor einem Jahr die Zwölf-Stunden-Arbeitswoche eingeführt, und morgen wird im Parlament über die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf zehn Stunden diskutiert. Wir machen nun eine Umfrage darüber, wie unsere Leser ihre Freizeit gestalten. Wie ich sehe, spielen Sie Schach?“

„Na ja ... nur mit mir selbst. Gute Spieler wollen mit mir nicht spielen, und der Computer schlägt mich dauernd — das macht keinen Spaß. Ich bin halt in der Theorie sehr schwach...“

„Das kann man doch lernen!“ meinte der Reporter.

„Wissen Sie denn nicht, daß das Schachstudium gesetzlich als professionelle Arbeit eingestuft wurde?“ antwortete Kramer etwas ungehalten. „Ich hätte dafür acht Arbeitsstunden pro Monat abgeben müssen!“

„Aber Sie betreiben doch Sport?“ fragte Kischling und

Die kleinen Freuden des Wintersports

zeigte auf Kramers Trainingsanzug.

„Ich? Für Fußball und Boxen bin ich zu alt. Golf, Tennis und Reiten sind zu teuer. Und auf den verstopften Jogging-Trassen gibt's kein Vorwärtskommen.“

So einen Mann schiebt mir der Computer als „repräsentative Person“ zu, dachte der Reporter. Sein Blick glitt verlegen über die mit Bildern vollgehängten Wände. „Haben Sie die alle selbst gemalt?“ fragte er.

„Na klar! Heute malen doch alle. Ich hoje mir doch keine fremden Bilder in die Wohnung, wo ich für meine eigenen keinen Platz mehr habe. Ich mußte deshalb schon vor einem halben Jahr mit dem Malen aufhören.“

„Nun schreiben Sie sicher Gedichte?“

„Alle schreiben heute Gedichte. Und kein Mensch will sie hören oder lesen. Deshalb habe ich auf Prosa umgestellt.“ Kramer griff nach einem Blatt Papier und fing an zu lesen: „Freizeit ist, wenn man Zeit hat und daher frei ist...“ Er merkte, wie gelangweilt Kischling zuhörte und hörte auf.

„Als literarisch interessierter Mensch lesen Sie sicher viel“, meinte der Reporter.

„Was soll ich lesen? Bei den erlaubten zwölf Arbeitsstunden pro Woche schaffen die Profi-Auto-

(Karikatur Stauber)

ren nicht viel. Die Produktion der Freizeitschreiber darf aber aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht gedruckt werden. Ab und zu, wenn es mir gelingt, ein altes Buch zu bekommen...“

„Fernsehen?“ hakte Kischling ohne Uberzeugung nach.

„Blödsinn! Es dauert Jahre, bis ein guter Regisseur bei dieser erlaubten Arbeitszeit mit einem Stück fertig wird. Und die arbeitsteilig gefertigte Konfektion kann ich nicht mehr sehen.“

„Bleibt Ihnen also viel Zeit für die Familie?“ machte der Zeitungsmann einen letzten verzweifelten Versuch.

„Das geht einigermaßen gut. Die Kinder sind schon von zu Hause weg, und meine Frau hat keine Zeit. Sie ist Psychiater, Spezialistin für Freizeitschäden. Das ist der einzige Beruf, in dem es genug Arbeit gibt. In anderen Familien gehen sich die Partner ständig auf die Nerven, und daher gibt's jedes Jahr eine Scheidung!“

„Was wollen Sie also mit Ihrer Freizeit künftig tun?“

„Unsere Gewerkschaft will streiken. Wir wollen den Betrieb besetzen und durch Arbeit rund um die Uhr eine Verdoppelung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn erzwingen!“

Bei diesen Worten sprang Franz Kramer auf. Seine Augen leuchteten.

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