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Der Friedensmarsch

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Vor einigen Wochen suchte mich ein junger Mann auf. Er wolle beichten, sagte er. Ich sah sofort, daß es um seinen Seelenzustand äußerst schlecht stand. Er schlotterte vor Angst, auf seiner Stirne standen Schweißperlen. Als sekundäre Merkmale seines desolaten Innenlebens stellte ich abgebissene Fingernägel fest.

Er trug eine ausgebeulte Jeans- Hose, eine schmutzige Parka, lange unfrisierte Haare, einen eben solchen Bart und eine Nickelbrille. Kurz: selbst wenn er es nicht gesagt hätte, wußte ich sofort, daß ich es mit einem linken Vogel zu tun habe.

„Ich heiße Vogel und bin eigentlich ein Kommunist”, stellte er sich vor.

„Heraus mit der Sprache, mein Sohn”, sagte ich, „was bedrückt Sie?”

„Ich habe Angst, entsetzliche Angst. Sie steigert sich bisweilen zu einem Alptraum, der schwer auf meinem Gewissen lastet.”

„Das kenne ich aus der Werbung”, sagte ich, „Sie machen sich Sorgen um den Zgonc.”

„Aber nein, ganz was anderes”, antwortete er. „Am 22. Oktober, wie Sie wissen, findet eine Friedensdemonstration statt. Und da haben sowohl die Katholische Aktion als auch die ÖVP und andere Bürgerliche mehr ihre Teilnahme zugesagt.”

„Na und? Das soll Sie ja erfreu- en!

„O nein, ganz im Gegenteil. Ich habe so eine entsetzliche Angst, daß die Bürgerlichen unsere Friedensbewegung unterwandern.”

„Wieso das?”

„Ganz einfach deshalb, weil sie in der Mehrheit sind. Wenn die einmal richtig mobil machen, sind wir erledigt. Da geraten wir unvermeidlich an den Rand, da können wir tun, was wir wollen.”

„Aber die Bürgerlichen machen ja nur eine Menschenkette von der amerikanischen Botschaft bis zur sowjetischen Botschaft.”

„Auch das ist typisch bürgerlich”, sagte Vogel angstvollen Blickes. „Bevor wir überhaupt noch auf den Gedanken gekommen sind, einen Friedensmarsch zu veranstalten, kamen sie schon mit der Idee einer Menschenkette daher. Und das ist leider nicht zum erstenmal so. Unentwegt überraschen sie uns mit irgendwelchen Einfällen, was ja kein Wunder ist, sie haben ja mehr Köpfe zum Denken als wir. Uns bleibt nichts anderes übrig, als im Zugzwang zu handeln und ständig nachzuziehen. Ja, noch mehr: Kaum riefen wir jetzt zum Friedensmarsch auf, stachelten sie schon ihre Leute an, hinzugehen und unsere Veranstaltung zu unterlaufen.”

„Das kommt davon”, sagte ich mit erhobenem Zeigefinger, „ daß ihr keine feste Überzeugung habt. Nur wer sich seiner Sache nicht sicher ist, hat Angst vor dem anderen. ÖVP-Leute, oder gar Christen, haben eben keine Angst. Die letzteren können sich sogar auf das Wort Christi berufen, der da gesagt hatte: .Habt Mut, ich habe die Welt besiegt!”1

„Da könnten Sie recht haben”, sagte Vogel nachdenklich. „Zwar versprach uns Lenin den Sieg der Weltrevolution, doch wenn ich sehe, wie es mit ihr derzeit in Afghanistan, Ungarn, der Tschechei und Angola steht, werde ich manchmal ganz schön verunsichert.”

Ich hätte dem linken Vogel gerne Trost zugesprochen. Denn als ich ihn so verängstigt vor mir sah, überkam mich ein heftiges Gefühl des Erbarmens. Doch mir fielen keinerlei Worte zugkräftiger Ermunterung ein. So mußte ich ihn ohne Trost und Hilfe ziehen lassen.

Wie ein Häufchen Elend, gekrümmt und deprimiert, verließ er meine Beichtkammer. Doch dann las ich plötzlich in den Zeitungen, daß die ÖVP ihren Mitgliedern den Rat erteilte, sie sollten keinesfalls an dem Friedensmarsch teilnehmen, sondern sich nur an der Menschenkette beteiligen. Auch große Teile der Katho lischen Aktion warnten vor der kommunistischen Unterwanderung und vor dem Mißbrauch der Friedensbewegung zu propagandistischen Zwecken. Sie riefen ebenfalls zum Fernbleiben auf. Ganz plötzlich hatten die Bürgerlichen, im Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten, Zweifel an ihrer Stärke bekommen. Ich wollte Vogel anrufen, um ihm die frohe Botschaft mitzuteilen, aber ich fand weder eine Telefonnummer noch eine Adresse.

Erst nachdem alles vorbei war, berichtete mir ein Freund, der Vogel bereits seit längerer Zeit kannte, daß er ihn sah, wie er freudestrahlend und sichtlich selbstbewußt beim Friedensmarsch mittat und kräftig „Nieder mit der Pershing II” gerufen hatte. Offenbar hatte ihn die gute Nachricht aus der Presse noch rechtzeitig erreicht, so daß er sich überzeugen ■ konnte, daß in Wirklichkeit die Bürgerlichen Angst vor der kommunistischen Unterwanderung hatten und nicht umgekehrt. Dies stellte Vogels gesundes Selbstvertrauen Gott sei Dank wieder her.

Zu guter Levų

In einem totalitären Staat erfährt der Diktator, daß alle gegen ihn gerichteten Witze von dem gleichen Komiker stammen. Er läßt den Mann kommen, erzählt ihm einen Witz und fragt: ,Jst der von dir?”

Der Komiker bejaht.

Der Diktator erzählt einen zweiten und fragt: ,Auch dieserr

Der Komiker bejaht.

Der Diktator erzählt noch einen Witz und fragt:,Auch dieser?”

Wieder bejaht der Komiker.

Nun reißt dem Diktator die Geduld: „Wie kannst du so etwas tun? Weißt du denn nicht, daß ich der Retter dieses Landes bin, sein Ruhm und sein Segen?”

,£>ieser Witz stammt aber nicht von mir”, erklärt entschieden der Komiker.

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