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Der Schatten einer Frau, eine Straße in Rom

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In der Via del Corso habe ich meine Ziele plötzlich auf die leichte Schulter genommen und bin, eine Ampel stand günstig auf Rot, aus dem städtischen Bus gesprungen. Als dieser anfuhr, lachte ich einigen Passagieren freundlich zu, aber die Freundlichkeit war eine Lüge, denn ich gönnte es auch den Römern nicht, hier in Rom zu Hause zu sein. Es erschien mir unvorstellbar, in dieser Stadt im Bus zur Arbeit zu fahren, hier einfach so zu leben, als wäre Rom irgendeine Stadt. Noch war ich im falschen Pathos befangen.

Ich ging hinter einer geschmackvoll gekleideten Dame einher, folgte ihr und folgte ihr nicht, bis ich mich plötzlich vor der Via di Bocca di Leone wiederfand, wo im Hause Nummer 60 die oft als spröde bezeichnete dotto- ressa Bachmann einmal gelebt hatte, ja dort ihren jungen Bewunderer sogar flüchtig empfangen hatte, bevor sie in anderen Anschriften untertauchte.

Dieses ihr dunkles Verschwinden bedenkend, das so wenig zu meinem pathetischen Rom passen wollte, bin ich also in eine Gedenkstraße eingebogen, in diese Via di Bocca di Leone, die mir von allen Adressen der Bachmann die klarste, die gerechteste scheint, ein wenig auch eine Aristokratenstraße.

Aber als ich nur wenige Schritte durch sie gegangen war, schlug mir fröhlicher Lärm entgegen, und ich fand mich bald bedrängt und gestoßen von einer lebhaften Gruppe von Frauen, die auf dem Gassenmarkt um die Ecke die schönsten Kirschen, die herrlichsten Pfirsiche, die verlockendsten Feigen kauften. Ich hatte diese Betriebsamkeit in der Straße des Totengedenkens nicht vermutet. Junge Frauen wogen das Obst auf primitiven Handwaagen, mich begann dieser Trubel aufzuhellen, ich schritt zwischen Früchten und Frauen hindurch und erreichte das Haus Nummer 60.

Hier also hatte sie einmal gewohnt. Welche Reise war das gewesen, vom Klagenfurt der grauen Mäuse bis hierher, in diese Straße als Inbegriff einer Ankunft! Kühl ist die Via di Bocca di Leone, und Kühle ist ein anderes Gesicht des Spröden. Kühl und spröde ist der Kristall, dessen Klarheit wir in der Bachmann begegnen.

Zum zweiten Mal, und nicht minder atemlos jetzt, bin ich eingetreten in die peinlich saubere, marmorumsäumte Vorhalle, natürlich denkend: Hier ist sie gegangen, hier hat sie den Fastnoch- knaben begrüßt, bis ich die Alte erreichte, die soeben das Treppenhaus zu waschen begann, diese schimmernden Marmorplatten, die keiner Waschung bedurften und sie nur als ein Ritual empfingen. Ich fragte die Alte, was ich ohnedies wußte, ob Ingeborg Bachmann hier jemals gewohnt hätte. Ich gierte nach dieser Bestätigung aus einem fremden Mund.

Die alte Frau blickte mich prüfend an, meinte, sie hätte nicht viel zu sagen, könnte sich auch nur sehr vage erinnern, doch ihre Tochter wüßte Bescheid. Die Tochter aber wäre verreist. Sie selber, so fügte die Alte hinzu, hätte sich nie um die Mieter gekümmert, auch nicht um diese bravissimo donna.

Warnend, fast ärgerlich, sagte sie dann, es werde so vielerlei berichtet, was indezent sei, beleidigend für die Bewohner des Hau ses, ob sie nun anwesend oder abwesend seien. Wohnten Herrschaften erst einmal in einem Hause wie diesem, so hätten sie Anspruch auf Diskretion erworben, und sie, die Alte, werde diese Verschwiegenheit wahren so lange sie lebe.

Aus diesen Sätzen verstand ich freilich, daß die alte Dame die dottoressa gut gekannt haben mußte, und daß sie mich füf einen frechen Eindringling hielt, der kein Recht auf Auskunft erworben hatte. Ich stand beschämt in dem kühlen Flur, stammelte mehrmals meinen Dank und verließ dieses Haus. Draußen schien die blendende Straße mit einem Schlag stiller geworden.

Wie wir alle, hatte ich längst gewußt, daß Ingeborg Bachmann eine große Autorin ist, aber jetzt in Rom, wo fast niemand ihre Bücher liest und versteht, lernte ich, daß die Vieldiskutierte auf Schutz hoffen darf. Man schützt in Rom ihr Anrecht auf eine private Sphäre, man achtet sie also dort unten in Rom. Die alte Dame sagte mir nicht, daß die dottoressa ein bedeutender Dichter war, sie sprach vielmehr von einer bravissimo donna, was bezeugt, daß die Bachmann neben den literarischen noch andere Spuren ließ.

Die dottoressa hat wirklich gelebt in einem unpathetischen Rom, eine Alte gießt Wasser über den Boden aus Marmor, und ich, den derart gereinigten Spuren folgend, bin weitergegangen zur Via dei Condotto, bin nach links abgebogen zum Caffė Greco und eingekehrt, wo sie mir hätte begegnen können wie damals, ein zweites Mal, regelmäßig und ohne Gesetz, wäre die bravissimo donna nicht aus dem Verkehr unserer Schritte gezogen, aber nicht tot, natürlich nicht tot.

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