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Digital In Arbeit

Der schlaue Bert, die starke Helene

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Vom jungen Brecht wurde mir folgende Geschichte erzählt: Er ging zur Schule und war kein eifriger Schüler. So geriet er eines Tages in Gefahr, durchzufallen und von der Schule verwiesen zu werden. Immerhin gab man ihm eine Chance: er solle noch eine schriftliche Arbeit liefern, ihr Ergebnis werde entscheidend sein.

Bert schrieb die Arbeit, aber, auch sie erhielt wieder einmal die Note „Nicht genügend“. Das junge Genie war ratlos. Dann fiel ihm ein Trick ein. Er verschaffte sich rote Tinte von demselben Rot, das der Lehrer für seine Korrekturen benützte. Mit dieser Tinte strich Bert etliche Stellen an, die richtig waren, er kennzeichnete als fehlerhaft, wo ihm kein Fehler unterlaufen war.

Mit dem so präparierten Heft begab er sich zu seinem Lehrer. Schüchtern klopfte er an. Schüchtern legte er das rote Schlachtfeld vor. Ihm scheine, begann er mit ersterbender Stimme, hier sei ein Irrtum passiert, auch hier und auch hier —

Der Lehrer prüfte nach und war bestürzt. Bei Gott, er hatte ja die besten Stellen durchgestrichen.

Hastig griff der Mann nach der Feder. So ungerecht durfte kein Schüler behandelt werden! Er strich das „Nicb^t genügend“ aus und schrieb eine Drei unter die Arbeit.

Gerettet war der schlaue Bert.

Der zweite Fall:

Helene diente bei einer reichen Russin in Berlin. Es war in der Zeit zwischen den Kriegen, es gab viel Not und wenig Arbeit. Helene war eine Perle, tüchtig und stark und, wie man damals sagte, ein Dragoner; rundköpf ig, mit gewaltigen Hüften und Armen, so muskelprotzig wie Ringerschenkel. Dazu war sie resolut und beinah immer guter Laune.

Freilich: der Posten bei der reichen Russin war kein Honiglek-ken. Die Russin war sekkant, launisch, geizig. Ihre Beine waren gelähmt, sie fuhr im Rollstuhl. Jede Woche wurde sie an einem bestimmten Tag von einem Mietauto abgeholt und zum Arzt gebracht; vom Arzt zum Masseur, vom Masseur zum Friseur und Pedikeur. Sonst saß sie in ihrem mit kostbaren Teppichen, silbernen Leuchtern und erlesenen Porzellanen ausstaffierten Zimmer und quälte ihre Helene.

Insbesondere quälte sie sie damit, daß sie ihr täglich in den Ohren lag, ja sorglich mit dem Inventar der Wohnung umzugehen und vor allem darauf achtzugeben, daß ein auf ein Taburettchen gestelltes chinesisches Teeservice keinen Schaden nähme. „Eine jede Tasse“, pflegte sie drohend zu sagen, „ist an die dreihundert Mark wert. Wenn Sie mir eine zerbricht, Helene, so zieh ich Ihr das vom Lohn ab, und Sie kriegt keinen Pfennig von mir, bis die Tasse bezahlt ist.“ Helene verbiß ein Ächzen. Dreißig Mark betrug ihr Monatssalär. Verhüte Gott, daß ihr eins von den Dingern zerbräche!

Helene liebte ihre Russin nicht. Wenn diese ihre Seidenstrümpfe wegwarf, versuchte die arme Helene, sie an sich zu bringen. Kaum hatte das die Russin bemerkt, schnitt sie die Füßlinge ab. Helene versuchte, die Teile zusammenzuflicken. Nun zerschnitt die Russin die Strümpfe kreuz und quer. So schwelte ein Haß zwischen Herrin und Dienstmagd. Eines Tages geschah es dann: Helene war beim Bohnern unversehens an das Chinesenservice gestoßen. Eine der Tassen lag in Scherben. Helene wußte nicht, was tun. Erst versuchte sie das eierschalendünne Porzellan zu kleben. Vergeblich. Am liebsten wäre sie, erzählte sie später, aus dem Fenster gesprungen. In der Nacht lag sie schlaflos und wälzte sich in Qualen. Dann hatte sie einen Einfall.

Noch hatte die Russin nichts von dem Schaden bemerkt. Am anderen Tag wurde sie wieder auf ihre Tour gebracht: zum Arzt, zum Friseur, zum Pedikeur. In dieser Zeit wollte Helene ihren Plan durchführen.

Endlich war die Russin fort, niemand im Haus. Helene nahm den kräftigsten Besen und ging in den Salon. Sie stellte sich neben das Taburettchen mit dem Service und stieß, sie stieß mit dem Besenstiel gegen die Decke.

Breitbeinig stand sie da, mit Ringerschenkel-Armen, und stieß und stieß aus allen Kräften. Nichts rührte sich da oben über dem Taburett. Endlich zeigte sich ein zarter Sprung. Helene stieß noch einmal, was sie konnte. Da stürzte die Decke ab. Ein Drittel der Zimmerdecke fuhr nieder mit Donnergepolter, sie nahm den silbernen Leuchter mit und deckte alles zu, das ganze verdammte Chinesenservice war unter Trümmern in Scherben.

Helene hatte sich mit einem behenden Sprung in die Mitte des Zimmers geflüchtet. Da stand sie in einer Wolke von Staub und rieb sich die Augen.

Als die Russin nach Hause kam, meldete ihr Helene das Malheur: aus heiterem Himmel, sozusagen, sei die Bescherung erfolgt.

Die Russin war hoch versichert. Der Beamte kam und wunderte sich: ein solcher Fall war ihm noch nie begegnet. Eine gesunde Decke in einem neuen Haus?! Doch er gab zu: manchmal geschehe Unbegreifliches. Die Versicherung zahlte.

Auch Helene war gerettet.

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