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Der Verrat der Nationalisten

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Ich fand sie toll, echt super, supertoll sozusagen, die Antwort, die mir der Kastanienröster beim Wiener Süd-bahnhof gab, als ich hinterfragte - vor Ort sozusagen - ob er wisse, wo hier Droschken stünden. Nix wissen, ich Pakistani, meinte der Beuteösterreicher, und da habe ich geschnallt, daß ich im Ausland bin. Natürlich gehe ich davon aus, daß man in anderen Ländern auch andere Sprachen spricht, aber ein so duftes Beispiel habe ich nicht erwartet.

Ich ging dann in einen Süßwarenladen, zog mir eine Cola rein und knabberte an einem Berliner, den sie in Wien Faschingskrapfen nennen, was soviel heißt, wie Karnevalsboulette! Super, was? Ich bin auf Wean ganz affengeil, weil es mir unter die Pelle geht, wie die hier ihre Sprüche kloppen. Tschüßlein da, Hallöchen dort -ganz groß und auch für uns verständlich, das Zeuch, das selbst bei „De-mel", dem berühmten Süßwarentempel bei Kaffe und Kuchen gesnackt wird. Da braucht's keinen Peymann, um zu merken, daß wir wieder die Größten sind. Schnuckelich, wenn man in der Sauna nach einer Super-sause angequasselt wird. Sind ja so redefreudig, die Leutchen, die gerne da sitzen, wo ich gerade gesessen habe - und sagen, sie haben nur vor Gericht gestanden, wo ich doch denke, daß ich nie wo gestanden habe, wo ein anderer stehen wollte.

Zum Mittagstisch rauschte ich in eine Pinte ein, die ziemlich proper war. Fleischbrühe mit Klößchen und Sahnehäubchen, Matjes an Kressesalat, Lungenhaschee mochte ich nicht, der Schmorbraten sah aus wie Schweinebauch, also zog ich mir noch ne Cola rein und aß die Gemüseplatte. Rübchen an Sellerie, Rapunzelsalat und Blumenkohl, Maiskölbchen, Stangenbohnen und eine Kartoffel im Silberkleid. Klasse - einsame Klasse! Nachdem ein Stülpehen vom Klaren und ein Pils zu, das brackig schmeckte und von einer trüben Tasse von Saaltochter angebracht wurde.

Ja, Freunde, so oder ähnlich könnte der Brief eines nördlichen Eipeldau-ers an seinen Vetter in Minden/Westfalen lauten. Oder der eines österreichischen Schulkindes, das nur wau, woff und so, 03 und FS 1 & 2 hört. Die Pruzziazismen, die unsere Sprachidentität zerstören, wuchern von allen Sprecherlippen. Ob „Perlweiß" oder „Echt-Schwesterchen", es ist ein Graus. So etwas wäre zum Beispiel in Frankreich nicht möglich, wo eine hohe Sprachkommission über die Sprache der Grande Nation wacht und sogar das Patoit (den Distriktsdialekt) nicht gerne in öffentlichen Medien hört und liest. Aber eine Grande Nation hat eben Illusionen, Ziele und -Charakter, sonst wäre sie ja nicht grande und Nation.

Bei uns muß sich die Nation sogar gegen innere Feinde wehren, Feinde, die sie als Mißgeburt bezeichnen und sich lieber zur Hallöchen- und Tschüß-lein-Kultur (?) bekennen, ob man sie dort haben will oder nicht, Anbieder-männer, diese Deutschnationalisten, die nur allzu leicht vergessen haben, daß der größte Feldherr aller Zeiten, der H. A. aus Braunau (wo Herr Haider „zufällig" seine Abschlußkundgebungen abhält) ein ebenso „Nationaler" war, dem es aber nichts ausmachte, 200.000 Deutsch-sprechende Südtiroler zu verraten und die Grenze am Brenner für ewige Zeiten festzuschreiben. Wer darüber nichts Genaues weiß, sei verwiesen auf das glänzende, aufschlußreiche Buch von Karl Heinz Ritschel: Diplomatie um Süd-Tirol. Lesen sie das und die Augen werden Ihnen übergehen, wenn Sie die Tränen des Zorns und der Scham gebändigt haben werden.

Worte, Worte, Worte, denen nur Missetaten folgten, pflasterten den Weg dieses „Vorbildes", gegen das selbst Mussolini ein Waserlbua war, von Francisco Franco ganz zu schweigen. Man könnte heute - man kann sogar wirklich - das Süd-Tirol Problem als abgehakt betrachten, als nicht mehr relevant im vereinten Europa. Ich bin aber dazu nicht fähig. Erstens ist Europa zur Zeit alles andere als vereint, andererseits ist Vergessen nicht meine starke Seite. Südtirol ist für mich keine Wunde, nicht einmal eine Narbe, Südtirol ist mir eine Herzensangelegenheit.

Man hat, zivilisiert und vorsichtig, das beste daraus gemacht - aber wieso darf dort nicht gelten, was Willy Brandt anderswo prophetisch aussprach - daß zusammenwachsen soll was zusammen gehört? Vielleicht ist mein Denken unvorsichtig provokant - aber Gedanken sind doch frei? Oder stimmt das auch nicht mehr? Deutsch hin - deutsch her, italienisch da -italienisch dort, Optanten und Dableiber. Österreich ist mir wichtig und -besonders Tirol. Oh, was ein Buch für Gedanken freisetzt! Auch schon verschüttet geglaubte. Ich weiß, daß auch dort an Etsch und Eisack Hitler das Falsche getan hat - allein das ist mir Beweis und Ansporn zu fordern: immer an Süd-Tirol denken. Auch da niemals vergessen!

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