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Digital In Arbeit

Die Papier-Muffel

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Es war auf einer der vielen Elektronikmessen, die sich zur Zeit ja selber jagen. Dazu gehören auch unzählige Pressekonferenzen (kurz PKs genannt) und Produktpräsentationen.

Ich hetze also zu PK Nummer 1 — großer Chemiekonzern, der auch Magnetbandmaterialien herstellt. Der Pressesprecher wirft mit Overhead-Projektor eine Grafik an die Wand und erläutert, daß, leider, leider, immer noch 80 Prozent der Büroarbeit Papier abwerfen, während die

neuen, modernen Medien wie eben Magnetbänder und Disketten sich erst mühsame zwölf Prozent teilen.

Ich kann darin nichts Ungewöhnliches erblicken, weil an meinem Platz zwar auch so ein Magnetbändchen liegt, aber vor allem eine dicke Pressemappe mit - jawohl, mit Papier. Und ein Block aus Papier mit dem Signum der Firma.

Termin bei der Firma, die Boris Becker für sich einsetzt, deshalb großes Gedränge der Fotografen und Fernsehteams und Boulevardpressevertreter, die alle eigentlich nicht wegen der Produkt-Neuheit gekommen sind. Bei selbiger handelt es sich nach dem Statement des Geschäftsführers um das Medium der Zukunft, ohne das gerade der Journalist einfach nicht mehr auskommt.

Um es uns ganz deutlich einzuhämmern, läuft eine dynamische Tonbildschau aus zwölf Projektoren ab, die Boris mit dem Ding vor dem Training, mit dem Ding nach dem Training, mit dem Ding in der Pause, mit dem Ding mal schwitzend, mal konzentriert, mal entspannt, kurz gesagt mit dem Ding in beinahe allen Lebenslagen zeigt: es ist ein kleines Diktiergerät.

Es hat sich zu schämen, wer selbiges nicht längst bei Tag und Nacht einsetzt.

Langsam fange ich an, mich zu wundern. Ich soll total umsteigen auf so ein Gerät, nicht nur bei Interviews? Hat sich der Nadel-streif-Freak da oben am Podium eigentlich die Situation vorgestellt: Ich sitze in den Reihen eines Airbus und soll nun brisante Notizen dahinsprechen, zur Erbau-, ung meiner Nachbarn? Schon was vom ganz praktischen, energie-

sparenden und problemlosen Kugelschreiber samt Notizzettel gehört?

Mittagstisch bei einer großen europäischen Hardwarefirma mit südlich klingendem Namen.

Das heißt, vor den leiblichen Genuß haben die Götter eine arge Plage gestellt. Einen Geschäftsführer, der Wort für Wort seinen Jahresgeschäftsbericht abliest, den wir alle in gedruckter Form in dem Papierhaufen, Pressematerial genannt, vor uns liegen haben. Wichtigster Satz in seiner Rede:

daß die moderne Bürokommunikation glücklicherweise immer mehr vom Papier wegkomme und wir uns grandiosen papierlosen Zeiten nähern.

Seltsamerweise steht vor diesem Redner eine Batterie 18 Zentimeter dicker Wälzer, auch Handbücher genannt, ohne die ein Betreiben seiner umsatzstarken Hardware gar nicht möglich ist.

In mir steigen langsam, aber sicher Aggressionen hoch: Woher dieses ausgeprägte Feindbild der EDV-Branche gegenüber Papier?

Letzte Vorstellung: Polaroid (jawohl, nenne ich offen beim Namen, da starken Eindruck bei mir hinterlassend). Die werden sich sehr gewundert haben über meinen befreienden Lachausbruch an der Stelle der audiovisuellen Schau, an der es hieß: Wir machen bald den größeren Umsatz mit einem Gerät, das direkt an den Computer angeschlossen wird, um dem Benutzer von seinen Bildschirmgrafiken und Bild-schirmergebnissen — man höre und staune! — einwandfreie Papierabzüge zum Angucken und Anfassen und Herumzeigen in die Hand zu drücken.

Ich gehe befriedigt aus den Hallen. Für mich ist die Welt wieder in Ordnung.

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