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Die Sache mit den Puppen

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Modepuppen, ausgesucht häßlich, Spielzeug für Modekinder, sonst nichts — und weil sie gefragt sind im Augenblick, und weil die Produktion nicht die Nachfrage deckt, prügeln die Modekunden sich dafür, zerschlagen die Einrichtung der Spielzeugläden, benehmen sich auf eine Art, die es schwermacht, an die Sache und an den Menschen zu glauben. Blaue Flecken, Knochenbrüche, ein zertrampeltes Kind einer Puppe wegen, die maschinell in Taiwan gefertigt wird.

Was die Massen hinreißt: Diese Puppen werden nicht einfach verkauft wie anderes Spielzeug, sondern sie müssen adoptiert werden. Ihr Erfinder, ein junger Mensch, der sich als Bildhauer bezeichnet, hat diese Adoptionsverrücktheit erdacht; heute ist er vielfacher Millionär. Er hat seine Idee der Großindustrie verkauft, jetzt erfinden Computer die Namen der Puppenwesen und druk-ken Geburts- und Adoptionsurkunden gleich zur Puppe dazu. Wer die Ware kauft, muß dem Verkäufer hoch und feierlich ver-

sprechen, das Ding immerdar lieben zu wollen, und der Treueschwur wird schriftlich besiegelt. Nach dieser Kundgebung einer sogenannten Beziehung lechzen offenbar die Leute.

Daheim prügeln sie ihre Frauen und Kinder, zertrümmern ihre Ehen, saufen und rauchen und fressen sich kaputt, aber nach der

Puppenliebe hungern sie so sehr, daß eine ganze Nation wochenlang von nichts anderem spricht als von dieser Modeware.

Die Besitzer der Spielzeugläden weigern sich übrigens allerorten, diese Puppen öffentlich anzubieten, sie fürchten um die Sicherheit ihres Inventars. Lieber versteigern und verlosen sie das Zeug unter dem Vorwand der Wohltätigkeit, seit es zu den genannten Exzessen gekommen ist. So schonen sie ihre Geschäftseinrichtung und mehren den guten Ruf ihres

Hauses. Was alle kaufen wollen, verkauft fast niemand mehr, es kommt zum krassesten Widerspruch der Vernunft.

Ein Bürger aus Kansas City sei nur deshalb nach London geflogen, weil es dort diese Puppen angeblich noch wie normale Ware zu kaufen gibt. Europa hinkt ja in allem hinterher. Schon am nächsten Tag kehrt der Kurzentschlossene nach Hause zurück, er hat fünf Puppen im Gepäck. Und die neidvolle Nation weiß um diesen Bürger, den wackeren Mann, der auf den Flughäfen von New York und Kansas City von Fernsehteams erwartet wird.

Seine große Tat wird von Küste zu Küste verkündet. Der Puppenkäufer ist plötzlich ein Held, sein Ausflug zu Harrod's of Knights-bridge ist ein Kreuzzug unserer Zeit geworden, zweihundert Millionen Menschen blicken gewollt oder ungewollt auf den Erfolgreichen, der sich zu helfen weiß. Uber die Modepuppen befragt, lächelt er nur, und er meint, man müsse dem widrigen Schicksal begegnen können.

Diese Vision erfüllt auch die Romane „Die große Hitze“ (1974) und „Die Vielgeliebte“ (1979). In ihnen zeigt sich Jörg Mauthe als Nachfahre von Mey-rinck und von Herzmanovsky-Or-lando, als Weggefährte von Peter Marginter, als geistesverwandt mit dem Zeichner Alfred Kubin, dessen Person und Werk er so sehr geschätzt hat. Jörg Mauthe war — wie nebenbei — ein bedeutender Erzähler; seine beiden Bücher gehören zur Literaturgeschichte des Jahrhunderts.

Er war Dichter, Kunstkritiker, Rundfunkmann, Publizist, Burgrestaurator, Zeitungsherausgeber, das alles „wie nebenbei“, denn hauptberuflich war er nicht als Schreibender oder als Bewirkender tätig, sondern als Träumer, erfüllt von der kindlichen — und das heißt: festen und wagemutigen — Bereitschaft, den Idealen des ersten Aufbruchs die Treue zu halten.

Leb wohl, Jörg, in der Ewigkeit. A dieu.

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