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Die wahre Bücherliebe
Noch immer gehört es für mich zu den erregendsten Momenten, ein Buch zu erstehen. Doch der Vorgang ist nicht so einfach. Ich entdecke es im Schaufenster; entzückt, gierig hängt mein Blick daran: der Titel, wie verheißungsvoll, ist er es nicht, auf den ich schon immer gewartet habe? Er verspricht alles. Ich muß es haben.
Aber ich gehe nicht sofort hinein, um es zu kaufen. Eine Weile noch muß es unerreichbar bleiben, wie alles Kostbare. Morgen vielleicht -ja, morgen!
Der Tag wird leichter, so oft mir das Buch, mein Buch, einfällt. Denn sicherlich werde ich auch darin wieder Antwort finden, vielleicht einige Antworten, die alles verändern werden, mein Leben in andere Bahnen lenken werden.
Nachts wache ich auf. Sofort fällt mir das Buch ein. Es ist weg! Jemand hat es mir genommen, es gekauft, gestern noch. Vor Schreck erstarre ich. „Leider", wird der Verkäufer sagen, „es war das letzte Exemplar, ich weiß nicht, ob und wann es wieder..." Wie'glatt und kühl er es sagt, ohne jedes Mitgefühl. Ein abscheulicher Mensch. Ich haße ihn. Niemals werde ich wissen, was in dem Buch geschrieben steht, niemals die Antworten erhalten, die doch - ich fühle es -gerade dort enthalten sind.
Morgens stehe ich früh auf, laufe zu dem Buchladen, atemlos erreiche ich ihn, von weitem sehe ich den
Umschlag leuchten, es ist da, welches Glück! Der Verkäufer legt es lächelnd vor mich hin, er ist ein Engel, ich möchte ihm um den Hals fallen. Ehrfürchtig fasse ich das Bändchen an, was für "ein merkwürdiges, fast beschämendes Gefühl, für ein wenig Geld eine Menschenseele in Besitz zu nehmen, alle Geheimnisse mir preisgegeben.
Keinesfalls jedoch stürze ich mich daheim sofort auf das neuerworbene Buch - nein, das wäre barbarisch. Die rechte Stunde ist abzuwarten, bis man bereit ist, es aufzunehmen. Es ist ein feierlicher Moment, wenn man die erste Seite eines neuen Buches aufschlägt.
Ich genieße noch ein wenig länger die Vorfreude vor der Erfüllung. Habe ich vielleicht Angst, daß es enttäuschend sein könnte? Aber mit leeren Händen werde ich bestimmt nicht zurückbleiben. Kein Buch entläßt dich gänzlich unbe-schenkt, und wäre es nur ein schmaler Satz, ein einziges Wort. Ja, auch ein einziges Wort vermag zu pak-ken, aufzurütteln, die verstockteste Dunkelheit erhellen. Jedes Buch schenkt ein Stück neues Leben.
„Aber doch ein wenig umständlich, dieser Buchkauf", könnte jemand sagen. „Und überhaupt, ein wenig übertrieben."
Mag sein, vielleicht hat er recht. Aber zu meiner Verteidigung kann ich nichts anführen außer Bücherliebe.
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