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Du sollst nicht töten!

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Die Wehrdienstverweigerung ist heute nicht nur im Westen, sondern auch im Ostblock ein Problem. Im sozialistischen Ungarn wollen immer mehr junge Katholiken den Dienst mit der Waffe nicht antreten. Da sie aber nicht, wie Angehörige der protestantischen Sekten, im Rahmen der Streitkräfte einen waffenlosen Dienst leisten können, müssen sie sich für ihre Verweigerung vor Gericht verantworten.

Derzeit befindet sich rund ein Dutzend katholischer Waffendienstverweigerer in ungarischen

Gefängnissen, zum größten Teil Mitglieder der Bokor-Basisge-meinschaften, deren geistiger Vater der Piaristenpater Györgyi Bulanyi ist.

Bulanyis Meinung lautet: „Nur in unseren Gruppen haben wir verstanden, daß Jesus seine Kirche nicht dazu gegründet hat, daß es Jünger gäbe, die ihr Vaterland schützen, indem sie den Feind töten. Ein Jünger, der Feinde hat, die er tötet, ist ein völliges Absurdum. So etwas ist im Evangelium nicht zu finden. Die Staaten können machen, was sie für nützlich halten. Jesus war fähig, seine Aufgaben ohne Soldaten zu lösen. Die Kirche kann keinen anderen Weg als den ihres Begründers gehen.“

Dieser Interpretation der Bibel folgend, verweigern viele junge Mitglieder der Basisgemeinschaften den Wehrdienst. In der traditionellen Kirche Ungarns wird dagegen gepredigt, es sei eine normale Pflicht jedes Katholiken, den Militäreid abzulegen und im Krieg die Feinde zu töten.

Diese Frage ist zur Quelle eines Konfliktes zwischen den Bulanyisten und der Hierarchie in Ungarn geworden. Der Bischof von Pees, Jozsef Cserhati, Sekretär der Ungarischen Bischofskonferenz, fühlt sich „einfach unfähig“, in dieser Frage etwas zu unternehmen.

Er meint: „Es bleibt dem Staat überlassen, diese Frage so zu behandeln, wie es seinen Interessen entspricht. Die Regierung will aber fair vorgehen. Von der höchsten Stelle wurde gesagt — in dem Augenblick, wo die katholische Kirche dieselbe Äußerung tut, wie zum Beispiel die Zeugen Je-hovas, daß die Wehrdienstverweigerung zum Wesen der katholischen Glaubenslehre gehört, dann wird die ungarische Regierung die Wehrdienstverweigerung zulassen. Doch das kann man der katholischen Lehre nicht entnehmen.“

Der Inspirator der Basisgemeinschaften will aber in dieser Frage nicht nachgeben: „Zur Rechtfertigung des Tötens braucht die Welt die Kirche nicht. Töten konnte die Menschheit vor Jesus Christus, und sie kann es auch heute. Die Kirche aber ist berufen zu sagen: Du sollst nicht töten! Die Zeit ist gekommen, daß die Kirche mit voller Autorität entscheidet, ob dies ein authentisches Gebot für den Christen ist oder nicht. Der ungarische Episkopat soll Gläubigen, die die Bergpredigt ernst nehmen wollen, nicht das Heimatrecht in der Kirche absprechen.“

Das stets ansteigende Interesse an Bulanyis Gruppen beweist die Tatsache, daß in diesem Jahr 20 neue Gruppenleiter ihre Arbeit antreten werden. Die weitere Zukunft der Bokor-Basisgemein-schaften sieht Györgyi Bulanyi optimistisch: „Die Zahl der Menschen, die wir anreden, wird größer. Wir sprechen Priester, wir sprechen Laien an. Jeder, der Verfolgung auf sich zu nehmen bereit ist, kann bei uns bleiben. Und dies sind viele.“

Vor kurzem sollte ein Mitglied einer Bulanyistengruppe, Barna Csortos, seinen Präsenzdienst antreten. Er verweigerte jedoch den Dienst mit der Waffe, wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Er ist bereit, einen nichtmilitärischen Dienst im Interesse des Gemeinwohls, auch für eine längere Zeit, auf sich zu nehmen, was aber für Katholiken in Ungarn derzeit nicht möglich ist.

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