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Ein großer Österreicher, der drei Leben lebte
Wehrmacht, Stalingrad, Marxismus, Kommunismus, Läuterung, Kernphysiker - Stationen eines Lebens. Für ein Leben zuviel. Hans J. Grümm hatte bisher drei.
Wehrmacht, Stalingrad, Marxismus, Kommunismus, Läuterung, Kernphysiker - Stationen eines Lebens. Für ein Leben zuviel. Hans J. Grümm hatte bisher drei.
Von den Katzen geht die Kunde, sie hätten sieben Leben! Hans J. Grümm (Jahrgang 1919) hat sich mit drei Leben begnügt. Diese hatten es allerdings in sich. Im Leben Nummer 1 wird der Absolvent einer Bundeserziehungsanstalt, der sich nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht vor Antritt eines Studiums 1937 als Einjährig Freiwilliger zum österreichischen Bundesheer gemeldet hatte, das Schicksal seiner Jahrgänge teilen. Dieses heißt: in den Reihen der Deutschen Wehrmacht in Hitlers Krieg ziehen. Auch das düsterste Kapitel dieser Jahre sollte ihm nicht erspart bleiben: Stalingrad!
Er gehört zwar zu den wenigen Überlebenden, doch die Monate und Wochen vor der Kapitulation, sowie die folgende Gefangenschaft lösen einen ernsten Denkprozeß bei Hans Grümm aus. Unter der sanften aber
nachdrücklichen Gehirnwäsche im Gefangenenlager, wobei Emst Fischer und Ruth von Mayenburg als Agitatoren Schlüsselrollen zukamen, wandelt sich sein bisheriges, nicht gerade religiös fundiertes Weltbild zu dem eines überzeugten Marxisten. Als Studentenfunktionär der KPÖ wird der Heimkehrer in den späten vierziger Jahren im Zentralausschuß der Osterreichi sehen Hochschülerschaft das erste Mal dem Rezensenten dieses Buches begegnen.
Österreichisches Schicksal?
In der Erinnerung hat sich über die Jahrzehnte hinweg das Bild eines hochintelligenten, scharfzüngigen Kontrahenten erhalten. Mit tiefer Befriedigung konnte zehn Jahre später der Redakteur der FURCHE einen Artikel von Hans Grümm entgegennehmen und am 16. Februar 1957 veröffentlichen, mit welchem der Autor Abschied von der „großen Illusion" und damit auch von seinem zweiten Leben nahm.
So ein Abschied war in den Jahren des „Kalten Krieges" nicht leicht zu verkaufen. Noch lange überschattete das Gastspiel in der KPÖ das dritte
Leben und den beruflichen Aufstieg Hans Grümms. Schließlich siegten seine hervorragenden physikalischen Kenntnisse und eine im ersten und zweiten Leben erworbene Durchhaltekraft. Über die Kernforschung in der Bundesrepublik Deutschland führte sein Weg zunächst nach Seibersdorf und in die Auseinandersetzung über die friedliche Nutzung der Atomkraft, als deren überzeugter Fürsprecher der Kernphysiker auftrat. Von dort ging es noch einige Stufen höher. Hans Grümm wurde zum Eintritt in die Internationale Atomenergieagentur eingeladen, als deren stellvertretender Direktor ihm die Leitung des Department of Safeguards übertragen wurde.
Ein Leben, das leicht vor fünfzig Jahren in Stalingrad hätte zu Ende gehen können, führte damit in eine der verantwortungsvollsten Positionen, welche heute die Weltgemeinschaft zu vergeben hat. Ein „österreichisches Schicksal"? Ja, aber eines, das seinen Mitbürgern Anerkennung und Respekt abnötigen kann und soll.
DREI LEBEN. Krieg - Partei - Atom. Von Hans J. Grümm. Locker Verlag, Wien 1992. 405 Seiten, öS 320,-.
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