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Entdeckung der Kirchenoper

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Nach der . Erstaufführung von Händeis Oratorium „Der Triumph von Zeit und Wahrheit“ und Benjamin Brittens Kirchenoper „Der verlorene Sohn“ (1974 und 1975) setzte Helmut Wobisch, der philharmonische Solotrompeter und Leiter des Kärntner Sommer-Festivals, auch heuer wieder einen prägnanten Akzent auf diesem Gebiet der sakralen Musik. Mit der szenischen Erstaufführung des „Sacrum Ora-torio Militare“ von Antonio Vi-valdi, „Juditha triumphans“, in der gut restaurierten, barocken Stiftskirche von Ossiach gelang nicht nur eine prachtvolle musikalische Darbietung des selten gespielten Werkes des „roten Weltpriesters“. Vielmehr scheint nun der „Carinthische Sommer Ossiach/Villach“ seine entscheidende, prägende Aufgabe gefunden zu haben.

Die Kirchenoper und das Oratorium könnten dem Musikfest, das heuer zum sechstenmal stattfand, nicht nur zu erhöhter Anziehungskraft, Eigenart und zu Prestigegewinn verhelfen, sondern — trotz der relativ hohen Kosten bei verhältnis-

mäßig niedrigen Eintrittspreisen und beschränkter Platzanzahl — den Schwerpunkt des vielseitigen Festivals darstellen.

Den Veranstaltern kam es bei der jüngsten Produktion sehr zugute, daß Vivaldis „Juditha“ schon vorher mehrmals vom gleichen Ensemble (unter der Regieführung von Filippo Crivelli) in und außerhalb Italiens zur Aufführung gebracht worden war. So fiel der ansehnliche Erfolg der drei Ossiacher Aufführungen dem Leiter und dem überwiegend einheimischen Publikum sozusagen in den Schoß. Alle Mitwirkenden gaben dabei ihr Bestes, was freilich nicht heißen soll, daß hier ausnahmslos Spitzenklasse geboten wurde.

Man könnte das geniale Oratorium auch ein sakrales Monodrama nennen, dessen Text überwiegend in lateinischer (eben der alten Huldi-gungs-) Sprache abgefaßt ist. Die einfache Handlung ist mehr emotionell als äußerlich bewegt. Daher hatte Regisseur Crivelli auch nur selten Möglichkeiten zu effektvoller Personenführung. Die Statik des Meisterwerkes wäre für eine konzer-

tante Aufführung unauffälliger zum Tragen gekommen. Die bekannte biblische Geschichte von der Befreiung Bethuliens durch die tapfere Judith, die unerschrocken zur Rettung der Heimat eigenhändig den Angreifer und Belagerer Holofernes köpft, nachdem er persönlich um ihre Gunst geworben hat, dient als Gerüst des unkonventionellen Librettos; doch erfreut sich die Musik dazu einer überwältigend reichen Instrumentation: Oboe, Viola d'amo-re, Mandoline, Cembalo und Orgelpositiv erhalten reichlich Gelegenheit zu solistischem Hervortreten, unterstützt von Pauken und Trompeten an den Glanzpunkten sowie von den prachtvoll differenzierten Streichern. Die übermäßige Anhäufung von Arien wird durch Rezita-tive und gelegentliche Frauenchor-einschübe aufgelockert.

Die beiden Hauptpersonen sind — noch bedeutend mehr als die drei Nebenfiguren — scharf und exakt charakterisiert. Das Libretto erklärt Judith als Symbol für Venedig, Holofernes für den besiegten Sultan, Judiths Begleiterin Abra für den Glauben, Bethulien für die Kirche und den Hohepriester Ozias für die Christenheit. Und hier liegt die Crux einer jeden Inszenierung des Oratoriums!

Italiens Maestrissimo unter den Barockspezialisten, Renato Fasano, ist nach 41jähriger Tätigkeit immer noch jugendlich ambitionierter Chef der von ihm gegründeten „Virtuosi di Roma“ und dazu noch Präsident der „Accademia Nazionale di Santa Cecilia“ in Rom. Er hat die vielfach überarbeitete Partitur der „Juditha“ einer gründlichen Revision unterzogen und dabei nach Möglichkeit auf die Urfassung zurückgegriffen bzw. sie weitestgehend wiederhergestellt.

Weil ja doch Vivaldi das Werk eben für die hochmusikalischen, sehr talentierten Mädchen des „Ospedale“, die vielfach über geradezu virtuose Fähigkeiten verfügten, komponiert hat, kommt es infolgedessen zu einer Akkumulierung von vier (!) Mezzosopranen mit einem Sopran (Abra), was einer gewissen Morlotonie trotz der Charakterisierungs- und Differenzierungskunst des genialen Meisters stellenweise Vorschub leistet. Dazu kommt — als Entgleisung Cri-vellis — das Agieren deutlich erkennbarer weiblicher Darsteller, die mit Krummschwertern! ausstaffiert sind, vor dem durch keinerlei Szenerie oder Rundhorizont (wie 1974!) abgeschirmten, barocken Marienaltar der Ossiacher Stiftskirche. Daneben blieb noch das kleine Manko der nicht ganz ausreichenden Stimmqualität einiger Nebenfiguren, denen vor allem der häufige Registerwechsel zu schaffen machte.

Dies waren aber die einzigen Minuspunkte der besonders musikalisch hervorragend und sorgfältigst einstudierten Aufführung mit der faszinierenden Carmen Gonzales in der anspruchsvollen Titelpartie, den blendend musizierenden „Virtuosi di 'Roma“ und den übrigen Mitwirkenden, von denen vor allem die überzeugend wirkenden Instrumentalsolisten gleichfalls entscheidend zum Gelingen des schwierigen, aber auch dankbaren Unternehmens nach Kräften beitrugen. Helmut Wobisch darf wieder zufrieden sein! Der Kärntner („Carinthische“) Musiksommer hat einen Höhepunkt mehr.

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