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Euryanthe bleibt absent
Eine konzertante Aufführung von Carl Maria von Webers großer romantischer Oper „Euryanthe" durch den Singverein, den ORF-Chor und das ORF-Symphonieorchester sowie sechs Solisten unter der Leitung von Walter Weller gab Gelegenheit, das Urteil, welches die Mit- und Nachwelt über dieses Werk gefällt hatte, bestätigt zu finden — oder es zu revidieren. (Bei uns wurde „Euryanthe" zuletzt unter der Leitung von Bruno Walter und Lothar Wallerstein während der Salzburger Festspiele 1937 aufgeführt.)
Eine konzertante Aufführung von Carl Maria von Webers großer romantischer Oper „Euryanthe" durch den Singverein, den ORF-Chor und das ORF-Symphonieorchester sowie sechs Solisten unter der Leitung von Walter Weller gab Gelegenheit, das Urteil, welches die Mit- und Nachwelt über dieses Werk gefällt hatte, bestätigt zu finden — oder es zu revidieren. (Bei uns wurde „Euryanthe" zuletzt unter der Leitung von Bruno Walter und Lothar Wallerstein während der Salzburger Festspiele 1937 aufgeführt.)
Nach dem Erfolg des „Freischütz" erhielt Weber, noch im gleichen Jahr (1821), von dem berühmten Impresario des Wiener Kärtnertortheaters, Domenico Barbaja, den Auftrag, eine große Oper zu schreiben. Ein unglücklicher Zufall fügte es, daß ihm eine gewisse Helmina von Chtoy, ein dichtendes Frauenzimmer und eine Freundin Friedrich Schlegels, vorgestellt und fast aufgedrängt wurde. Webers eigener Instinkt versagte angesichts des im Glanz der ritterlichen Welt erstrahlenden Stoffes nach einer altfranzösischen Heldensage, der „Histoire de Gerard de Nevers et de la belle et vertueuse Euryanthe, son amie".
Diese Geschichte enthält Motive, wie wir sie später in „Cosi fan tutte" und in Wagners „Lohengrin" wiederfinden. Der verwegene Graf Lysyart macht mit Gerard de Nevers eine Wette, daß es ihm gelingen würde, innerhalb von drei Tagen dessen junge Frau zu verführen. Es gelingt ihm nicht, aber die böse Claudia — die Gerard einst liebte — vermag die Umstände eines Treubruchs vorzutäuschen, die Unschuldige wird verstoßen, die Bösen triumphieren (wie Ortrud und Tel-ramund), aber bald kommt die Wahrheit ans Licht, und die beiden Übeltäter verlieren dabei ihr Leben.
Das wäre ein Stoff — aber es wurde kein Libretto draus, zumindest kein brauchbares. — 1954 unternahm der deutsche Musikschriftsteller Kurt Honolka einen Rettungsversuch, indem er — vor allem — kürzte, den Text von Schwulst befreite, die lächerlichen Namen (Ado-lar und Eglantine) durch die ursprünglichen der Sage ersetzte — und auch der Musik des letzten Teiles ein wenig auf die Sprünge half. In dieser verkürzten, wohlproportionierten Fassung — die drei Akte wurden in zwei gleich lange Teile zu je einer Stunde geteilt — hörten wir das Werk wieder.
Wir wissen — und werden von Weber-Monographen darüber belehrt —, daß sich diese Oper auf dem halben Weg von Gluck und Mozart zum Musikdrama Wagners befindet. Neu sind die auskomponierten dramatischen Accompagnato-Rezitative, die mit ariosen Formen, orchestralen Zwischenspielen und Leitmotiven kunstvolle Szenenkomplexe bilden und das ganze Werk als erste durchkomponierte deutsche Oper erscheinen lassen. Hinzu kommt ein gewisser Schwung der Weberschen Feder, wirkungsvolle Charakteristiken und gutgesetzte, effektvolle Chöre. Aber es ist fast geheimnisvoll, wie das alles nicht über die Rampe kommt, nicht über die des Konzertpodiums — und wohl auch nicht über die der Opernbühne.
Das lag zum Teil auch an der nicht gerade brillanten Besetzung der Hauptpartien. Die Stimmen waren an Qualität recht verschieden, konnten insgesamt den szenischen Eindruck nicht ersetzen. Kaum einen Wunsch offen ließ Rita Shane in der
Titelpartie; einen würdigen Baß verlieh Manfred Jungwirth der Rolle des Königs; was Teresa Stich-Randall als Claudia hören ließ, kann man nur als Tour de force bezeichnen, Glade Peterson war überfordert, Peter Wimberger und Peter Drahosch boten anständiges Mittelmaß. Dieses überragte entschieden Walter Weller als Dirigent, das aufmerksam und mit animo spielende Orchester, dem wir einige rasante Stellen zu danken haben; und es bewährte sich wieder einmal der mit dem ORF-Chor vereinigte Singverein, den Helmuth Froschauer einstudiert hatte. In Erinnerung bleiben: Walter Weller und Rita Shane. Leider nicht Webers Musik.
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