6966027-1985_13_24.jpg
Digital In Arbeit

FamiKenheiliger

Werbung
Werbung
Werbung

Modisch ausgedrückt: Unsere Familie hat ein besonderes Nahverhältnis zum heiligen Antonius. Im Klartext: Irgendeiner sucht ständig irgendetwas!

Diese Suchaktionen finden so häufig statt, daß sich für ihre Abwicklung bereits ein eigenes Ritual herausgebildet hat.

Stufe 1 wäre für einen Außenstehenden noch völlig unauffällig. Der „Sucher” fällt nur durch etwas vermehrten Bewegungsdrang und scheinbares Zurechtrücken herumliegender Gegenstände auf; dem besonders gewissenhaften Beobachter dürfte auch ein beginnendes'nervöses Augen-flackern nicht entgehen.

Bei Stufe 2 findet eine deutliche Intensivierung der unter Stufe 1 aufgezeigten Symptome statt. Der Rest der Familie stoppt gerade ausgeübte Tätigkeiten und beginnt wissend, wenn auch immer noch wortlos, zu feixen.

Ausbruch von Stufe 3 steht in direktem Zusammenhang mit der noch vorhandenen Zeit, nach deren Ablauf der Verlustgegenstand unwiderruflich benötigt wird. Kann sich dieser Termin bei verlegten Schmuckstücken oder Büchern über Tage und Wochen hinziehen oder auch ganz ausbleiben, spitzt sich die morgendliche Suche nach dem Büroschlüssel von Minute zu Minute dramatisch zu.

Jetzt endlich wird die Mauer des Schweigens mit einem gezischten „Verflucht noch einmal” durchbrochen, worauf der Nächststehende teilnehmend zu fragen hat, ob denn etwas gesucht würde. Die Antwort „Ich finde meinen Schlüssel nicht” ist geradezu das Uberspringen einer Stufe, denn vom Finden war ja überhaupt noch keine Rede.

Absoluter Höhepunkt ist dann die unvermeidliche Frage: „Wo hast sie denn zuletzt g'habt?”

Ist die Rolle des Suchenden wieder einmal an mir — regelmäßig so alle zwei bis drei Wochen -, überkommen mich in diesem Moment ganz unfromme Gefühle, und ich schlucke schnell einige „Koseworte” hinunter — schließlich möchte ich doch Hilfe und keine Publikumsbeschimpfung...

In der Folge beteiligt sich dann auch die ganze Familie am „Das-

Unterste-zuoberst-Kehren”. Der am entferntest Betroffene darf dabei den Philosophen spielen und anregen, das Hüherstallge-flatter vielleicht zugunsten würdigeren Nachdenkens einzubrem-sen, denn im Nu gleicht die Wohnung einem Schlachtfeld:

Herausgezogene Schubladen, umgestülpte Manteltaschen und zurückgerollte Teppiche zeigen die vielfältigen Möglichkeiten, die so einem kleinen Ding einfallen könnten, sich zu verkrümeln. Es werden so lange Polster ausgeschüttelt und sogar Blumenstöcke aus ihren Ubertöpfen gehoben, bis zu guter Letzt die Aktivitäten zu erlahmen beginnen.

Wir treten nun in die Endphase, wo jeder dem Suchenden mit seiner Version der „letzten Begegnung” kommt.

„Aber Du hast doch noch gestern zugesperrt, wo ...?”

„Aber Du hast doch das Auto genommen, wie bist Du denn in die Garage gekommen?”

Aber... aber...

Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß der Leidtragende spätestens zu diesem Zeitpunkt beginnt, dem Heiligen Antonius die imponierendsten Gelübde abzulegen, tonlos natürlich, um nicht etwa später von Zeugen beim Wort genommen zu werden.

Endlich macht sich allgemeine Erschöpfung breit. Niemand kann sich schließlich unentwegt aufregen — man stelle sich nur den ungeheuren Adrenalinausstoß vor!

Für den Schluß des Familienspielchens gibt es zwei Varianten: entweder man resigniert und schreitet zum Neuerwerb des verlorenen Gegenstandes oder — man findet! Wobei letzteres als Tücke des Objekts häufig nach ersterem eintritt...

Der uns nächstgelegene Heilige Antonius wohnt in einer idyllischen Bergkapelle im Kaisertal. Wenn an schönen Sonnentagen ganze Prozessionen dahin pilgern, kann ich nicht umhin, mir vorzustellen, was die wohl alle verloren haben.

Zu guter LeftJ;

Die Schweigenden waren wohl von jeher in der Mehrheit.

Daß man sie nicht hört, beweist noch lange nicht, daß sie recht haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung