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Fritzi Guldas Kindergarten

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Frau Limpe wußte Rat: „Gehen“ rief sie ins Mikrophon, nachdem ihr nebst Gatten Paul Fuchs und Friedrich Gulda aus den Zuhörerbänken im Hof des Stiftes Viktring die sonst nur auf Fußballplätzen vernehmbare Aufforderungen „aufhör'n“ entgegengeschallt war. Freilich hielt sich das unter „Anima“ firmierende Trio nicht an den selbsterdachten Ratschlag und werkte weiter am meist selbstgebauten Instrumentarium.

Der erste Eindruck vom „5. Internationalen Musikforum Kärnten“, das heuer (vom 4. bis 18. Juli) zum zweitenmal im historischen Rahmen des Stiftes Viktring bei Klagenfurt über die Bühne geht, war somit nicht der Beste. Gerade das Eröffnungskonzert lieferte nämlich Indizien dafür, daß Friedrich Gulda, der vor fünf Jahren an der Wiege dieses ambitionierten und engagierten Unternehmens gestanden war, nun eine Musikforuim-Totengräberrolle für sich erobern will. Der noch immer mit nachpubertärer Unberechenbär-keit ausgestattete Starpianist, der ankündigen ließ, er werde an diesem Abend Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ unters Volk bringen und damit auch „traditionelles Konzertsaalpublikum“ neben den meist sehr jungen Stammgästen anlockte, überlegte sich's plötzlich anders und warf dem seiner Meinung nach wohl zum widerspruchslosen Nachbeten verurteilten Publikum seinen „Anima-Sound“ vor die Füße — ohne jede Erklärung und auch nicht dazu bereit, über sein Vorgehen zu diskutieren. Über diese Art von Musik läßt sich zweifellos streiten. Faktum scheint nur zu sein, daß diese „pseudo-elitäre Tonkackerei“ (eine Meinung aus dem Publikum) wieder einmal zu einer Zeit zu Gulda vorgedrungen ist, j.u der andere diese Musikart längst schon wieder vergessen haben. Hinter der Entwicklung herzulaufen, scheint eben Guldas Schicksal zu sein.

Befremdend war aber vor allem die Art, mit der Gulda & Epigonen diese Musik den Leuten aufzwingen will, nämlich mit einem lautsprecherverstärkten Ausruf „Trottln, wos hörts denn net zua!“

Der klavierspielende Snob Gulda verwechselt hier (bewußt oder unbewußt) die Begriffe, wenn er meint, „progressiv“ zu sein und „auf Einzelkartenkäufer und Snobs“ keine Rücksicht nehmen zu müssen. Gerade das Musikforum wäre der ideale Ort für ihn gewesen, den Beweis anzutreten, daß er im Hinblick auf die gesellschaftspolitische Relevanz der Musik mehr von' sich zu geben hat als egoistische Verhaltensmuster und Leerformeln zur Selbstbefriedigung. Dafür hätte es allerdings der Erkenntnis bedurft,! daß die gesellschaftliche Verantwortung eines begabten Klavierspielers in letzter Konsequenz nicht viel geringer ist, als jene eines begabten Bombenerfinders oder Militärstrategen. Fazit des Eröffnungskonzertes somit: ein Teil des Publikums und die Musikforum-Organisatoren verärgert, Eintrittsgeldrückgabeforderungen oder offen triumphierend die Musikforum-Gegner und Fritzi Guldas Kindergarten der Jung-Naiven. Zusammenfassende Erkenntnis: Ein Musikforum ohne Gulda wird der Musikforum-Idee besser gerecht.

Doch gerade diese Idee, die man interpretieren könnte mit gesellschaftspolitischer Konfrontation verschiedenster Strömungen auf der Basis oder in der Folge von Musik, kam schon am nächsten Abend voll zu seinem Recht. Die dominierende (nicht zuletzt weil keine Sonderstellung beanspruchende) Persönlichkeit dieser Veranstaltung, der Pianist und Philosoph Dollar Brand, wußte nicht nur mehr Zuhörer anzulok-ken als Gulda (der sich zu dieser Zeit noch an Zeitungstitel wie „Dollar sinkt weiter“ ergötzte), sondern diese auch quer durch alle Schichten zu begeistern.

Dollar Brand leitet daneben aber auch Musicclasses und gibt Karate-Unterricht.

All diese Vielfältigkeit spiegelt den Gesamtrahmen des Musikforums wieder, dessen scheinbare Gegensätze wie der Stiftshof als Veranstaltungsort von Pop-, Beat-, Free Jazz- und Klassik-Konzerten einerseits und das „Camp for Tramps“ als Kommunikationszentrum anderseits in jeder Weise harmonieren. So reicht denn auch der Bogen der Mitwirkenden von Dollar Brand und dem Jazzer Ornette Coleman über die asiatisch-religiöse Musikgruppe der Baha'i und der Gruppe OM, die in ihrer Musik Urlaute der Meditation transplatieren will, den Dawn-breakers mit ihren innig melodischen Gebeten bis zum „Creative Dance Theatre“ aus Dänemark, das politisch-satirische Ballett (teils choreographisch vorinszeniert, teils improvisiert) auf die Bühne bringt. Ein Modellkindergarten, in dem auch die Eltern mitarbeiten sollen, Arbeitsgruppen für alternative Lebensformen in bezug auf Wirtschaft (so referierte etwa Kanzler Kreiskys Staatssekretär Dr. Eugen Veselsky „Zur gesellschaftspolitischen Wende in der Wirtschaftspolitik — alternative Wirtschaftsformen als Überlebenschance der Menschheit“), Justiz, Improvisation, Architektur, Sozialhygiene, Erwachsenenbildung, schöpferische Bewegung, Karate und Photographie runden dieses Programm ab.

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