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Große Stimme einer großen Zeit

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Vor 50 Jahren, am 2. August 1921, ist Enrico Caruso gestorben. Aber damals waren schon fast acht Monate vergangen, seit der große Tenor zum letztenmal auf der Bühne stand: Am 24. Dezember 1920 hatte er trotz seines elenden, mit einem Blutsturz verbundenen Gesundheitszustandes noch den „Eleazar“ in der „Metropolitan“ gesungen, erlitt dann aber einen vollständigen Zusammenbruch und mußte neun Operationen über sich ergehen lassen. Seine Übersiedlung von New York nach Italien in sein geliebtes Sorrento im Juni 1921 schien eine Besserung und Kräftigung zu bringen, doch ein Rückfall machte eine Reise nach Rom zu einer neuerlichen Lungenoperation nötig; auf dem Weg dahin ereilte der Tod den Sänger in seiner Geburtsstadt Neapel.

Zahlreiche Schallplatten haben die Kunst dieses Einmaligen bis zu einem gewissen Grad in die Gegenwart herübergerettet, wenn auch in einem schwächeren Abglanz, der vor allem auf die damals noch unfertige, mit der heutigen nicht zu vergleichende Aufnahmetechnik zurückzuführen ist. Wer aber wie der Autor diese Stimme in natura gehört hat, wird mit allen die Schönheiten eines Organs beschreibenden Termini technici wie Gold, Glanz, Schmelz, Weichheit, Kraft oder Edeltimbre nicht auskommen, um der Einmaligkeit des Tenors Enrico Carusos gerecht zu werden. Nicht nur das für mich unvergeßliche Erlebnis von Carusos

„Don Josė“ im September 1913 in der damaligen Wiener Hofoper berechtigt mich zu dieser, vielleicht als hypertrophische Begeisterung angesehenen Behauptung: Die Äußerungen von Sänger-Koryphäen, wie der oftmaligen Partnerin Carusos, Kammersängerin Francillo-Kauffmann, der berühmten amerikanischen Sopranistin Geraldine Ferarar, des New Yorker Lieblingstenors Jean de Reszke und vieler anderer Künstler bestätigen die unbeschreibliche Wirkung des Gesanges Carusos, und diese Einschätzungen wirken sich als solche streng kritisierender, höchste Maßstäbe anlegender Kollegen noch viel gewichtiger aus.

Dabei hatte Caruso, der sich als Sechzehnjähriger seinen Unterhalt als Arbeiter in einer Fabrik verdienen mußte, schwere Mühe, sein an sich prachtvolles Organ, namentlich was die Erarbeitung der akuten Höhenlage anbelangte, technisch auszubilden. Was ihm dann als späterem Star seine von keinem Rivalen erreichten Leistungen ermöglichte, war nach seiner eigenen Aussage seine bis ins Letzte vervollkommte Atemtechnik, die jedes kleinste Quentchen Luft in Ton umsetzte. Die mir gut bekannte Kammersänge rin Francillo-Kauffmann sagte mir, daß sie das Geheimnis höchstentwickelter Gesangskunst erst bei Caruso kennengelemt habe, und die von ihren Landsleuten vergötterte, amerikanische Primadonna, Geraldine Fer- rar, gestand, daß sie, als sie das erstemal mit Caruso in der „Boheme“ auf der Bühne stand, von seinem Gesang so hingerissen war, daß sie vor Weinen auf ihre Einsätze vergaß und vom Dirigenten Vigna erst durch lautes Aufklopfen mit dem Taktstock in die Wirklichkeit zurückversetzt werden mußte.

Als Caruso am 6. Oktober 1906 zum erstenmal in der Wiener Hofoper in „Rigoletto“ auftrat, war dies ein exzeptionelles künstlerisches und gesellschaftliches Ereignis. Theaterzettel und Zeitungsankündigungen brachten die Rollenbesetzung in italienischer Sprache: so „II duca di Mantova“ — Sigr. Caruso Enrico, „Rigoletto, buffone di corte“ — Sigr. Ruffo Titta, „Gilda, di lui figlia“ — Sign. Kurz Selma. (NB: Dirigent und Regisseur wurden damals noch nicht angegeben!)

Aber das Eintreffen Carusos mit seinem Impresario beim Bühneneingang in der Kämtner- straße um sechs Uhr abends ließ ich mir mit anderen begeisterten Hodirufem nicht entgegen. Zwei meiner späteren Bühnenkollegen, der Tenor Arthur Preuss und die Sopranistin Berta Kiurina, die in der damaligen „Rigoletto“-Vorstellung in kleineren Partien mitwirkten, haben mir aber viel von dieser denkwürdigen Aufführung erzählt. Sie begann um halbacht und endete, von Dutzenden von Vorhängen für den illustren Gast begleitet, erst nach dreiviertelelf Uhr. In den Künstlerlogen sah man neben den Tenor-Veteranen der damaligen Hofoper, den Herren Walter, Bignio und Dippel, auch den jungen, aufstrebenden Leo Slezak, die Damen Mildenburg, Weidt und Bland, vom Burgtheater waren die Stardarsteller Kainz, Sonnenthal und Reimers gekommen. Das Entree für die 4. Galerie, das berühmte „Juchhe“, wurde auf das Fünfzigfache, eine Loge — normalerweise 100 Kronen kostend — sogar auf 2500 hinauflizitiert.

Der Kritik der damaligen großformatigen Blätter „Neue Freie Presse“ und „Wiener Tagblatt“ stand eine ganze Seite — man vergleiche die Gegenwart! — zur Verfügung. Die Urteile so maßgebender Rezensenten wie Julius Komgold und Max Kalbeck ergingen sich in höchsten Lobeshymnen über den Gesang und die Spielbegabung des Tenors, neben dem sich laut Kritik Selma Kurz gut, der Baritonist Ruffo aber nur schwach behaupten konnten. Das „La donna ė mobile“ hätte der stürmische Applaus nach der Wiederholung gerne ein drittes Mal erzwungen, hätte Spetrino am Dirigentenpult nicht zu einem weiteren Höhepunkt des Abends, dem berühmten Quartett, weitergeführt, in dem Carusos Stimme laut Rezensentenbericht alles überstrahlte. Der Tenor, der noch in seiner Garderobe die Ernennung zum österreichischen Kammersänger erfuhr, konnte sich nach Schluß der Vorstellung nur mit Mühe durch den damals bloß für die Mitglieder des Kaiserhauses erlaubten Ausgang in der Operngasse vor seinen begeisterten Verehrern, darunter natürlich auch ich, retten, die ihn mit Hochrufen in das Hotel Sacher begleiteten. Es war ein sogar in der Glanzzeit der damaligen Mahler-Ära selten großer Abend der Hofoper.

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