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Heilige Johanna und sundige Peri

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Die Poesie in der „Jeanne dArc au bücher“ geht eindeutig von der Dichtung Paul Claudels aus, ist auch in der deutschen Fassung von Hans Reinhart noch lebendig, und der Musik von Arthur Honegger kann man eine gewisse Dramatik und vor allem Deskriptivität nicht absprechen: Man ist oft von seiner Geschicklichkeit gefangen, wie er einzelne Bilder in kleine Tongemälde umsetzt. Der Hörer kann sich der Wirkung dieses Oratoriums schon wegen des beeindruckenden Aufwandes selbst in mittelmäßigen Aufführungen nur schwer entziehen. Mittelmäßig war in der Musikvereins-Aufführung allerdings gleich einiges: erst einmal die Leistung des Dirigenten Carl Melles; er hielt den riesigen Apparat umsichtig zusammen, war aber bestrebt, das illustrative Moment nicht ausufern zu lassen, was sicherlich der geschlossenen Wirkung zugute kam, aber eindeutig auf Kosten des Ausdrucks ging. Diesen übrigens ließ auch Walther Reyer als Sprecher des Bruders Dominique schmerzlich vermissen . .. Das ORF-Symphonieorchester war aufmerksam, um Genauigkeit bemüht, aber kalt; der ORF-Chor und die Wiener Sängerknaben sangen klangvoll, ebenso Arthur Korn und das Damenterzett von der Orgelgalerie (Gerlinde Lorenz, etwas weniger kultiviert Patricia Wise, kraftvoll Anne Gjevang); Ingold Platzer, Hans Christian und Albert Rueprecht hatten die weiteren Sprechrollen inne. Stars gab es an diesem Abend aber gleich zwei: Horst Hiestermann mit seinem kerngesunden, hohen Tenor und seiner vorbildlichen Sprechteohnik und Johanna von Koczian als Idealbesetzung einer ausdrucksgewaltigen und empfindsamen Johanna. So war es letztenendes das Wort, das den Sieg an diesem hörenswerten Abend davontrug.

Am 2. Februar 1843 wurde Mendelssohns weltliches Oratorium „Walpurgisnacht“ in Leipzig uraufgeführt. Der 33jährige Robert Schumann war dabei. Vielleicht hat der große Erfolg ihn bewogen, das längst geplante Werk „Das Paradies und die Peri“, das wir als „Opernersatz'' ansehen dürfen, noch im gleichen Jahr zu beenden: eine Riesenpartitur mit etwa zweistündiger Spieldauer und mit großer Besetzung. Schumann bediente sich dazu eines Librettos, das er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Flechsig nach einer Erzählung von Thomas Morus angefertigt hatte: eine symbolischromantische, sentimentale Geschichte von einer Peri, einem geflügelten Geistwesen, das etwas angestellt hat (aber was, das erfahren wir nicht) und deswegen aus dem Paradies vertrieben wurde. Dorthin möchte es zurückkehren, und nach zwei vergeblichen Versuchen gelingt es: die Peri bringt von der Erde die Tränen eines reuigen Sünders. Das ist das Kostbarste, das es in Allahs Himmel gibt, und daher wird sie wieder eingelassen. — Schumann hat hierzu eine phantasievolle Musik geschrieben, freilich nicht die eines Dramatikers, sondern eines Erzählers. Daher die vielen, vielen Chöre und nur wenig dramatische Rezita-tive. Immerhin lernen wir eine neue Seite des Musikers Schumann kennen, auch wenn wir dem Urteil eines bekannten Münchener Musikkritikers aus dem Jahr 1931 nicht zustimmen können, der in diesem Werk „bestürzende Originalität und radikale Fortschrittlichkeit“ entdeckte. Aber gerade daran fehlt es dieser schönen, gutklingenden Partitur, vor allem, was die Harmonie betrifft. Doch ist die Wahl gerade dieses selten zu hörenden Werkes für das Abschlußkonzert der Musikvereinsfestwochen sehr zu begrüßen. Zumal nach einer so sorgfältigen Vorbereitung, vor allem der vielen Chöre durch Helmuth Froschauer und in einer so engagierten Interpretation wie durch Carlo Maria Giulini, der diese Musik offensichtlich liebt. Der Singverein und die Wiener Symphoniker haben Vorzügliches geleistet. Aber den großen Erfolg dankt diese Aufführung einem ausgezeichneten Solistenensemble. Schumann verlangt nämlich gleich zwei Solistenquartette. Sie wurden durch Edda Moser, Birgit Finnilä, Werner Hollweg und Tom Krause sowie durch Ulrike Meli, Anne Gjewang, Thomas Moser und Arthur Korn gebildet. Mit ihnen hätte man jede Festspieloper glänzend besetzen können ...

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