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Heitere Sylvia aus Budapest

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Nein, wir meinen zunächst nicht die anmutige und technisch hervorragende Lilly Scheuermann und alle übrigen Tänzerinnen und Tänzer dieses gelungenen, in jeder Hinsicht erfreulichen und entsprechend akklamierten Premierenabends in der Staatsoper, sondern die gesamte „Produktion“. Denn sowohl der originelle und witzige Choreograph Läszlö Seregi, längst auch im Westen gefragt, dessen Inszenierung Gabor Forray mit einer Fülle aparter und ironischer Bildeinfälle und Tivadar Mark mit einigen Dutzend hübscher, zum Teil burlesker Kostüme ausgestattet hat, sondern auch den musikalischen Bearbeiter Pal Tamäs sowie Stefan Soltesz, obwohl an der Staatsoper beheimatet, kamen aus Budapest, wo 1972 zum ersten Male diese neue Version des berühmten romantischen Balletts gezeigt wurde (Es mag seit seiner Uraufführung vor genau 100 Jahren in Paris ein Dutzend mal neuchoreographiert worden sein.).

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Nein, wir meinen zunächst nicht die anmutige und technisch hervorragende Lilly Scheuermann und alle übrigen Tänzerinnen und Tänzer dieses gelungenen, in jeder Hinsicht erfreulichen und entsprechend akklamierten Premierenabends in der Staatsoper, sondern die gesamte „Produktion“. Denn sowohl der originelle und witzige Choreograph Läszlö Seregi, längst auch im Westen gefragt, dessen Inszenierung Gabor Forray mit einer Fülle aparter und ironischer Bildeinfälle und Tivadar Mark mit einigen Dutzend hübscher, zum Teil burlesker Kostüme ausgestattet hat, sondern auch den musikalischen Bearbeiter Pal Tamäs sowie Stefan Soltesz, obwohl an der Staatsoper beheimatet, kamen aus Budapest, wo 1972 zum ersten Male diese neue Version des berühmten romantischen Balletts gezeigt wurde (Es mag seit seiner Uraufführung vor genau 100 Jahren in Paris ein Dutzend mal neuchoreographiert worden sein.).

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Viele Reminiszenzen knüpfen sich an dieses letzte Standardwerk einer ganzen E]oche. Den Stoff entnahmen Barbier und Merante einem Pastoraldrama von Tasso. Was sie dann für die Pariser Große Oper, das Palais Garnier, schufen — „Sylvia ou la Nymphe de Diane, Ballet en 3 actes et 5 tableaux“ —, war schon damals, zur Zeit der größten Triumphe Offenbachs, stilistisch veraltet. So war die „mythologische“ Handlung der „Sylvia“, einer Nymphe der Göttin Diana, mit Schäfer, Jäger Orion, Eros, Kentaur, Faunen und weiteren Nymphen immer eine gewisse Verlegenheit. Aber die anmutige, einfallsreiche, melodiöse, doch nie sentimentale Partitur Leo Delibes, eine der besten fürs klassisch-romantische Ballett, trug das Werk über die Jahrzehnte. *

Von dem runden Dutzend Neubearbeitungen ist die von Läszlö Seregi in der Ausstattung von Gabor Forray sicher die radikalste und originellste. Denn man hat nicht nur eine neuzeitlich-realistische Parallelaktion zur mythologischen erfunden, sondern es wurde das ganze Ballett aus einer Traumlandschaft in einen riesigen ziegelroten Trainingssaal verlegt. Dieser wird zwar von zwei mächtigen Faun-Standbildern flankiert und weist Bauelemente der Belle epoque auf, wird gelegentlich aber auch mit Hilfe raffinierter Beleuchtung und einiger Andeutungen in einen „Hain“ verwandelt. Aber das alles geschieht mit jener Ironie, mit der das Stück beginnt: Auf einer dicken kleinen Wolke schwebt Eros, eigentlich ein schelmischer Amor, herunter — und gähnt! Wahrscheinlich weil er die stereotype alt-neue Geschichte schon kennt: von einer jungen und schönen Ballerina, die nicht nur von einem gleichaltrigen Kollegen, sondern auch vom Direktor der Truppe verehrt wird, was sich daraus für Komplikationen ergeben und wie das Ganze endet...

Die Handlung des „originalen“ Sylvia-Balletts ist zwar nicht verworren, aber weitläufig verschnörkelt. Wir können sie quasi ignorieren. Denn im Vordergrund stehen durchaus die zeitgenössischen Figuren: Karl Musil, enerigsch und imposant als Direktor und Ballettmeister, Michael Birkmeyer als gewandter junger Tänzer, Lilly Scheuermann, anmutig und aus-

drucksvoll, dominierend in Erscheinung, Temperament und Expression: Judith Gerber — freilich auch durch ihre Rolle als Diana, Primaballerina und eifersüchtige Gattin Orions begünstigt. — Anton Hejna führt als Eros einen auf Spitze tanzenden clownesken Eros vor und Peter Ka-stelik stellt gemeinsam mit Ferdinand Liederer einen Kentaur dar, der sich gewandt bewegt und zirkusreif ist, sobald sich auf seinem (ihrem) Rücken auch noch zwei Nymphen tummeln...

Die heiter-ironische Stimmung dieser ausgelassenen Choreographie wird immer wieder durch originelle Gags gesteigert, die bis zum Ende des knapp zweistündigen Abends ausreichen. Wenn etwa die Trainingsstangen sich plötzlich in Ruder eines mit riesigen roten Segeln aus dem Hintergrund auftauchenden Schiffes verwandeln. Oder wenn gegen Ende der Show vor fünf griechischen, mit einem Halbmond gekrönten Säulen, sich orientalisches Volk zu tummeln beginnt. Und so weiter und so fort. Auch mit der Musik ist Pal Tamäs recht freizügig, aber nie grob umgegangen, trotz kleiner Schlagwerkzwischenspiele, trotz der sehr komisch und zugleich ganz organisch wirkenden Zitate aus „Carmen“ und aus Mendelssohns Hochzeitsmarsch.

Im Ganzen: ein äußerst unterhaltsamer, kurzweiliger, gelungener Abend (an dem auch die Ausführenden ihren sichtbaren Spaß hatten), der nicht nur eine originelle Inszenierung, sondern auch die Kunst unserer Solisten und des Ensembles demonstrierte, die, wie man hört, in der gleichen Produktion auch in Budapest gastieren sollen.

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