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Hollywood bietet an

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Erst jetzt kann man — nach einem langen Sommer filmischen Mißvergnügens — von einem richtigen Auftakt der neuen Kinosaison sprechen. Die Verleiher lassen ihre größeren Kaliber, teils von namhaften Regisseuren-gedreht, teils mit prominen-tem Stars bestückt, von Stapel. Hie* bei kommen alle Filme, die heute zur Debatte stehen, aus den USA. Allerdings zeugt es wieder von mangelnder Koordinierung in der Branche, wenn gleich vier Filme, von de. nen sich die derzeit wahrlich nicht prosperierende Filmwirtschaft wohl bessere Tage verspricht, zugleich gestartet werden und sich somit mehr als nötig konkurrenzieren.

Den thematisch wohl anspruchsvollsten Stoff hat Stanley Kubrick, bestrenommierter Schöpfer von „Wege zum Ruhm“, „Dr. Seltsam“, „20001 : Odyssee im Weltraum“ und „Uhrwerk Orange“ mit „Barry Lyndon“ gestaltet. Er, der sich sonst immer an brisanten Gegenwartsstoffen oder Zukunftsvisionen versuchte, wandte sich diesmal älterer Literatur zu: dem 1844 entstandenen Erstlingsroman „The luck of Berry Lyndon“, des neben Dickens bedeutendsten Erzählers der viktorianischen Epoche, William Makepeace Thacke-ray (1811 bis 1863). Geschildert wird das wechselnde Schicksal eines jungen Iren einfacher Herkunft, der nach einem Duell aus seiner Heimat flieht, in die englische Armee eintritt, mit ihr — zur Zeit des Siebenjährigen Krieges — auf das Festland kommt, dort desertiert, in den Dienst des preussischen Heeres gezwungen, nach seiner Bewährung im Kampf in den Zivilstand entlassen und für eine Spionagemission ausersehen wird. Dabei findet er Eingang in die große Welt Europas und lernt nach seiner Ausweisung aus Preußen eine steinreiche Adelige kennen, die er nach dem Tod ihres greisen Mannes heiratet. Nun beginnt für Barry Lyndon ein abenteuerliches Leben in Saus und Braus, das schließlich zu seinem Ruin führt. Sein geliebter Sohn stirbt nach einem Unfall, sein gehaßter Stiefsohn macht ihn dn einem Duell zum Krüppel, so daß Barry schließlich verarmt in seine irische Heimat zurückkehrt. Kubrick hat hier einen dreistündigen Bilderbogen geschaffen, in dem er skrupelloses Glücksrittertum facettenreich brandmarkt, aber doch nicht ganz die Brücke von einem mit großer Akribie gezeichneten Zeitkolorit zur Anteilnahme des heutigen Beschauers findet. Der besondere ästhetische Reiz des Films liegt jedoch in seinen Bildern, die mitunter die Pracht kostbarer Gemälde erreichen. Nicht umsonst wurde der Film auch mit den „Oscars“ für die beste Kameraführung, die beste Ausstattung und die besten Kostüme ausgezeichnet. Weniger Glück hatte Kubrick mit seinen Schauspielern. Ryan O'Neal, der Star der „Love Story“, ist viel zu arm an mimischem Ausdruck, um die konfliktreiche Entwicklung des Titelhelden über ein Menschenalter hin zu erzielen, und Maria Berenson ist wieder einmal nicht mehr als eine kalte Schönheit.

Der heute 77jährige Altmeister des gepflegten Spannungsfilms, Alfred Hitchcock, blieb hingegen in seinem Genre und beweist auch mit „Familiengrab“, daß er es noch immer virtuos beherrscht. Er verbindet hiebei geschickt zwei ursprünglich nebeneinander laufende Handlungsstränge um eine Erbschaft sowie um die dunklen Machenschaften eines Juweliers mit kriminellem Doppelleben als Kidnapper-Hitchcock hat die Fäden der Spannung stets sicher im Griff, hält sie aber locker und vermeidet jene Übersteigerungen, die in einigen seiner letzten Psychothril-ler zu bemerken waren.

„Duell am Missouri“, unter der Regie von Arthur Penn („Licht im Dunkel“, „Bonnie und Clyde“, „Alices Restaurant“) wird sein Publikum vor allem durch die Partnerschaft der beiden Top-Stars Jack Nicholson und Marlon Brando finden, die hier als Gegenspieler in einem Edel-wildwester aufeinandertreffen. Die Geschichte um eine Bande von Pferdedieben in Montana, die von einem bezahlten Killer bis auf einen Mann auf grausame Weise vernichtet wird, verrät gute Hollywood-Dramaturgie mit etwas feinerer Psychologie als im Durchschnitt des Genres. Kameraführung und Regie zeugen von sorgfältiger Arbeit, und darstellerisch übertrifft der äußerst differenziert und doch sehr natürlich agierende Jack Nicholson den wieder einmal recht maniriert spielenden Marlon Brando bei weitem.

Wegen seiner Geistigkeit noch tiefer rangiert das formal fast perfekte Machwerk „Die letzte Frau“ von Marco Ferreri („Das große Fressen“), in dem die Ehe als Institution abgelehnt wird und die ultima ratio des als Ehemann, Vater und Liebhaber gescheiterten „Helden“ darin besteht, daß er sich mit einem Sägemesser entmannt.

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