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Impulse aus dem Mythischen

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Lange bevor sich in der bildenden Kunst der jetzt vielfach feststellbare Trend zu archaisch mythischen Gestaltungen ausformte, hatte Walter Pichler mit seinen strengen hieratischen Gebilden einem sehr persönlichen, abseits von allen Moden liegenden Mythos Ausdruck gegeben.

Rückblickend erweist sich in der einzelgängerischen Vorwegnähme späterer Phänomene die Größe einer Künstlerpersönlichkeit. Die Kunstgeschichte ist reich an solchen Beispielen. Walter Pichler kann nicht nur deshalb zu den prägenden Gestalten der österreichischen Gegenwartskunst gezählt werden. Es erscheint daher nur folgerichtig, daß er vor kurzem vom Kunstsenat zum Großen österreichischen Staatspreis vorgeschlagen wurde.

Bereits 1982 vertrat er Österreich auf der Biennale von Venedig. Damals wurde der letzte Abschnitt seines Schaffens gezeigt. Dieser war aber nur das vorläufige Ende einer durch über zwei Jahrzehnte konsequent geübten Haltung.

Sie manifestierte sich in vielerlei Erscheinungsformen; der innere Kern blieb sich stets gleich. Es ist die Auffassung von künstlerischer Arbeit als einer Art magischen Beschwörung. Durch sie werden wirkende Kräfte frei.

Der Weg von einem solchen spirituell erfahrbaren Bedeutungsgehalt zur Urform des Sakralen ist nicht allzu weit.

1972 ließ sich der gebürtige Südtiroler, damals 36jährig, im bur-genländischen St. Martin an der Raab nieder. Zehn Jahre später stellte er sich selber die Frage, ob das bisher gelebte Leben, diese, trotz vorangegangener und späterer Erfolge zwischen New York, Kassel und Jerusalem selbstgewählte Zurückgezogenheit „nicht bequem als Modell eines sogenannten ausgefüllten und überschaubaren Lebens mißverstanden werden kann“.

Er ist sich bewußt, daß „Erfüllung und Konzentration“ sich auch ebensogut in Isolation verkehren können. Er nimmt dieses Risiko auf sich, vielleicht mit dem Instinkt dafür, daß sie nicht eintreten werden, solange sein Werk trotz aller Hermetik Strahlkraft nach außen hin besitzt.

Stimuliert von einer dörflichen Umwelt, von bäuerlichem Gerät und handwerklichem Tun, vom erdhaften Bezug und der Einge-bundenheit in dort noch geltende Ubereinkünfte mit der Schöpfung, verstärkte sich jene spezifische Haltung Walter Pichlers, welche Hans Hollein als den „kultischen Ansatz zum Leben und zur Kunst“, als „rituelle Handlung“ schlechthin bezeichnete.

So entstanden nach und nach Figuren und Artefakte, die ebenso die Esoterik einer individuellen Mythologie wie auch den Charakter einer überkonfessionellen Sakralität besitzen.

Wenn Pichler die Entstehung etwa des „Rumpfes“ (1976-1981) in ihren einzelnen Phasen photographisch aufschlüsselt, vom Holzkern über dessen Strohum-mantelung und den Aufbau des Lehmkörpers nach strengem Bauschema bis zu den bronzenen Partien, so wird deutlich, wieviel rituelles Handeln in diesem kreativen Geschehen liegt.

Wenn Pichler die „bewegliche Figur“ mit selbst entworfenen und gefertigten Gewändern bekleidet, erinnert man sich da nicht der barocken Ummantelungen von Gnadenstatuen?

Die Vögel aus vergoldeter Bronze haben primitive Fetische als Ahnen. Die „Schädeldecken“ werden auf ihren Gerüsten wie Reliquien ausgestellt. Daß die Skulpturen auf dem Hof in St. Martin in eigens für sie konzipierten Häusern wie in archaischen Tempeln oder Schreinen stehen, verstärkt den Charakter des Kultischen.

Für das „Große Kreuz“ errichtete Walter Pichler nach vielen unterschiedlichen Vorentwürfen die sogenannte Kapelle. Von ihm handwerklich subtil geplante Objekte, wie die „Große Mähmaschine“, eine Art Sonnenwagen, darauf die zum Segel reduzierte „Frau“: sie haben die Aura von liturgischen Geräten. Die unterschiedlichen Entwurfszeichnungen dazu spiegeln die Auseinandersetzung mit dem Funktionellen und Emblematischen.

So schuf Walter Pichler auf dem Höhenrücken außerhalb des Dorfes St. Martin quasi sakrosankte Bezirke - und dies bei aller Nüchternheit der äußeren Erscheinungsform. Hier werden weit über das introvertierte persönliche Schaffen hinaus Impulse für eine zeitgemäße religiöse Kunst in kirchlichem Rahmen gesetzt.

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