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Ist das ein schöner Zug!
Am Abend hatten wir Cham-x7\pagner getrunken. Seit -zig Jahren zum ersten Mal wieder. Nein, keinen Sekt oder Schaumwein: Champagner aus dem Hause Moet & Chandon. Die Schickeria wird über Firma und Jahrgang vielleicht lächeln (das Etikett trug die Jahreszahl 1980), aber wir
gehören nicht dazu und trinken so etwas nicht wie Mineralwasser. Wir genossen ihn aus vollen Zügen, gerieten in jenen Schwebezustand, den man festhalten möchte, verhockten bis Mitternacht, hatten Gespräche über Gott und die Welt - unbeschreiblich.
Wie gut ein guter Tropfen ist, weiß man spätestens am anderen Morgen. Ich sprang aus dem Bett: leichte Reste von jenem nächtlichen Schwebezustand — nur der
Abschied war noch zu meistern, ein gutes Haus und liebe Menschen zu verlassen - „bis gleich" -und schon wieder Szenenwechsel: Hauptbahnhof München, das Gepäckwagerl vor sich, und wie immer keine Ahnung, wann der nächste Zug fährt.
Im Kopf und im Körper noch immer jene wunderbare Schwebe-Klarheit mit einem leicht blödianischen Stich. Dazu eine plötzliche Assoziation an einen Tucholsky-Text.
Jenen, in dem sich Tucholsky an einen Fahrkartenschalter begibt mit der unnachahmlichen Frage: „Was haben Sie denn so für schöne Fahrkarten?"
Unnachahmlich—ja. Aber ähnlich ... Wenigstens ähnlich.
Stop mit dem Gepäckwagerl vor jenem blau-uniformierten Mann, an dessen Schirmmütze der Streifen „Information" prangt. Er lächelt trotz der frühen Morgenstunde.
„Wann fährt denn der nächste schöne Zug nach Österreich?"
Sein Lächeln verschwindet. Er sieht mich fragend an.
„Ja", sage ich frohgelaunt, „so ein ,Mozz-Art-Express' oder ein .Blauer Löwenzahn' oder ein .Rosen-Klavier' ..."
Er legt den Kopf zur Seite und mustert mich scharf. Hinter seiner Stirn arbeitet es sichtbar.
Güte oder Strenge, das ist hier die Frage.
Er entscheidet sich für Güte.
Das ist ein schöner Zug von ihm.
„Wohin wollen S' denn?" fragt er, „Österreich ist groß."
„Eben nicht", widerspreche ich begeistert, „keine sieben Millionen Einwohner, Herr Informationsvorstand! ,Small is beauti-ful'!"
Jetzt reicht es ihm. Man sieht's ihm an. Es gereicht ihm zur Ehre, daß er ruhig bleibt.
„Also: wohin?"
„Salzburg", sage ich freudig, „natürlich Salzburg."
Er braucht kein Buch, hat alles im Kopf.
„Der nächste Zug/', sagt er milde, „der nächste Zug fährt um 6.49 Uhr." Er zeigt auf die Bahnhofsuhr. „Das ist in zehn Minuten. Der JRosenkavalier'."
„Danke", sage ich, „mit dem fahre ich am liebsten."
Er sieht mich mitleidig an, zuckt die Schultern, wendet sich dem nächsten Ratsuchenden zu.
Ich schwenke mit dem Wagerl um 180 Grad, entschwebe im Dreiviertel-Takt-Schritt, immer zwischen den Menschen hindurch, ohne anzuecken — an solchen Tagen eckt man nicht an — und summe: „I hab nun halt amal/ an österreichisch Glück ..."
Es ist ein schöner Zug, es wird eine schöne Fahrt, es wird ein schöner Tag.
, Den Mann von der Information kann ich wärmstens empfehlen.
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