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Liebermann ist der Retter

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„Bis hierher und nicht weiter“, entschied der französische tultusministeFl) u hVhi dl in Sächbn Grand Opera und dekretierte die Stunde Null der Pariser Oper. Nach einer kollektiven Kündigung des gesamten Personals schloß er einen Vertrag mit Rolf Liebermann, der das Palais Garnier im Zusammenhang mit der Komischen Oper reformieren soll. Und schon ist der Schock den kommunistischen CGT-Mitgliedern in die Glieder gefahren. Zuerst wollten sie die Oper zugunsten ihrer Profitgeschäfte zugrunde richten, dann bedauerten sie, „das Huhn geschlachtet zu haben, das goldene Eier legen sollte“. Jetzt kommt die späte Erkenntnis, daß mit Liebermann ein harter Widerpart in Paris einzieht, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.

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„Bis hierher und nicht weiter“, entschied der französische tultusministeFl) u hVhi dl in Sächbn Grand Opera und dekretierte die Stunde Null der Pariser Oper. Nach einer kollektiven Kündigung des gesamten Personals schloß er einen Vertrag mit Rolf Liebermann, der das Palais Garnier im Zusammenhang mit der Komischen Oper reformieren soll. Und schon ist der Schock den kommunistischen CGT-Mitgliedern in die Glieder gefahren. Zuerst wollten sie die Oper zugunsten ihrer Profitgeschäfte zugrunde richten, dann bedauerten sie, „das Huhn geschlachtet zu haben, das goldene Eier legen sollte“. Jetzt kommt die späte Erkenntnis, daß mit Liebermann ein harter Widerpart in Paris einzieht, mit dem nicht gut Kirschen essen ist.

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Fast wäre es passiert, daß die Pariser Oper mitten im Sommer in einen Winterschlaf gefallen wäre und die Opėra comique gleich dazu. Die Saison 1971/72 schien endgültig bedroht. Diese Vorgänge schockieren die Liebhaber einer Kunstgattung, die gerade in Frankreich zahlreich sind. Die Opern von Marseille und Lyon, die kürzlich gegründete Rheinoper — Straßburg, Colmar, Mühlhausen — erfreuen sich größter Gunst des Publikums. Sämtliche Vorstellungen dieser lyrischen Provinzialbühnen sind in der Regel ausverkauft. Sobald ausländische Truppen, wie eben die Oper von Sofia oder das Moskauer Bolschoi-Theater, ihre Vorstellungen in Paris ankündigen, können die Organisatoren mit echten Triumphen rechnen.

Die Pariser Oper hat sich gegenüber den traditionsreichen Sprechbühnen niemals richtig entfaltet. Wurde die Comėdie franęaise ein Weltbegriff, so lebte die Opembühne im Schatten von Mailand, Wien und Hamburg. Es gehörte allerdings zum guten Ton der mondänen Gesellschaft, gelegentlich Freunde in Frack und Abendrobe im Foyer dieses Staatstheaters zu bewundern, und gleichzeitig den eigenen gesellschaftlichen Aufstieg zu demonstrieren. Die Pariser Ojier war seit Jahrzehnten eine Börse zahlreicher Intrigen, aber keineswegs ein Tempel vollendeten Kunstgenusses. Wer die Kritiken der Tages- und Wocheri- zeitungen verfolgte, mußte mit Erstaunen feststellen, wie gering eine Premiere in der Pariser Oper gewürdigt wurde. — Seit August 1970 verdämmert das Deckengemälde Chagalls, werden Modernisierungs arbeiten durchgeführt und hüteten die Personalvertreter ängstlich ihre verbrieften Rechte.

Selbst auf dem Höhepunkt der gaullistischen Macht wußte der Begründer der V. Republik niemals, ob anläßlich einer Galavorstellung für einen ausländischen Staatsgast der eiserne Vorhang hochgehen würde und der sterbende Schwan wirklich sein Leben aushaucht. Mehr als einmal streikten vor Beginn des Spektakels die Bühnenarbeiter. Selbst eine repräsentative Vorstellung des Bolschoi-Theaters fand an einem Sonntag nicht statt, da die Herren der Kulisse und Beleuchtung ihre Mitarbeit verweigerten. Kommunisten hin, Kommunisten her, was kümmerte diese Leute die Solidarität mit der sozialistischen Sowjetunion und der französischrussische Kulturaustausch. Obwohl 90 Prozent des Opernpersonals offiziell der kommunistischen CGT angehörten, hatte die mächtige Gewerkschaftszentrale auf ihre Anhänger nur geringen Einfluß. Ein intimer Kenner der Verhältnisse schilderte plastisch die Situation: „Es handelte sich um keinen Klassenkampf, sondern ein engstirniger Kastengeist triumphierte, weit ab von der rechtsmäßigen Verteidigung sozialer Interessen. Rund um die Bühne und im ganzen Palais Granier machten sich Parasiten breit, die für eine Arbeit Honorar beanspruchten, deren Umgang und Bedingungen imgenügend fixiert waren.

Unvergessen bleibt das Abenteuer des berühmten Choreographen Roland Petit, der zum Chef des Ballettes ernannt wurde und dem die Verwaltung das bescheidenste Büro ver sagte. Als kürzlich das Ballett der Pariser Oper im Sportpalast unter Führung des kühnen Meisters Bėjart auftrat, verweigerten die Musiker eine zusätzliche Vorstellung und lehnten sogar die Verwendung eines Tonbandes als „antigewerkschaftlich“ ab.

Soweit es die „lyrischen Theater“ betraf, schloß man mit den einzelnen Sektionen des Personals 1953 Kollektivverträge ab, die 1959 aufgelöst und 1962 erneuert wurden. Seit 18 Monaten laufen die Verhandlungen zwischen den kompetenten Stellen des Kultusministeriums und den Personalvertretem des künstlerischen und technischen Personals. Maßvolle Wünsche der Künstler und Maschinisten stießen auf Aufgeschlossenheit. Aber der neue Kultusminister Duhamel — einer der scharf profilierten Persönlichkeiten des Kabinetts und Chef einer Zentrumspartei — war nicht geneigt, die dauernden Disziplinlosigkeiten zu akzeptieren und wollte die Arbeitsbedingungen definitiv fixieren, um nachfolgenden Interpretierungsunterschieden auszuweichen. Die These des Kultusministeriums war einleuchtend: Durch den Vertrag geht der Sänger und Musiker, Tänzer und Chorist gewisse Verpflichtungen ein, die aus dem Text eindeutig fixiert sind. Wir akzeptieren zwar eine künstlerische Freiheit, nehmen eine gewisse Nebenbeschäftigung bei Film, Funk und Fernsehen hin. Die Hauptarbeit des Ver- tragsbediensteten ist jedoch die Oper, und jedes Mitglied dieses Instituts möge eine gewisse Ordnung respektieren. Nun begann ein hurtiges Feüschen. Die Personalvertreter, welche so gut wie keine Unterstützung ihrer Gewerkschaftszentrale fanden, reklamierten unzählige Sonderrechte und wollten das bisherige System zementieren. Mit anderen Worten: Nicht der Intendant wäre der Herr des Hauses gewesen, sondern die meistens durch einen Zufall gewählten Repräsentanten, die leider nur zu oft künstlerische Mittelmäßigkeit mit höchster Arroganz verbanden. Liebermann soll dies nun alles ändern. Vollmachten dazu bekam er. Wird es ihm jedoch gelingen?

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