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Mensch und Mummenschanz

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Man stelle sich vor: Museumsvitrine, darin die ausgestellte Person, am Glas das Schild: moderner Karnevalist. Er ist unauffällig, ohne Pappnase, äußerlich unscheinbar und wird von einem inneren, unsichtbaren Lachen geschüttelt. Die Unschuld des Spaßmachers scheint verloren, nähert sich der tragischen Amplitude des Clowns. Sein gelächterhaftes Universum trägt er voll Distanz im Kopf. Die Ausweispapiere sind durch ein Motto von Rabelais ergänzt: „Le rire est le propre de l'homme“. Des Menschen Anteil ist das Lachen. Die manische Euphorie des Verhaltens kann im Inneren ein plötzliches Umkippen in groteske Düsternis als Äquivalent zeitigen. Dann freilich ist es angebracht, eine Maske in Reichweite zu haben.

Der belesene Karnevalist besitzt eine reichhaltige Bibliothek, die er stolz abschreitet: Berichte über griechisch-antike Satyrspiele, römische Sarturnalien, mittelalterliche Traktate über die musa iocosa, Renaissanceschwatz über die pikareske Tradition und Cervantes, Simplicius, negative und tölpelhafte Helden, Wickrams „Narrengießen“, Brants „Narren-schiff“, Murners „Narrenbeschwörung“, Beers „Narrenspital“, Sachs' „Narrenschneyden“, Flögeis Geschichte des Grotesk-Komischen, Goethes Bericht vom römischen Karneval, Volkskundliches zum Brauchtum, Untersuchungen über den Wahn und Irrsinn in der Literatur, das Bild des Clowns in der bildenden Kunst usf. *

Früher trug er den Januskopf und befleißigte sich des homerischen Gelächters. Das rituelle Lachen zerstört das Vorhandene, um Erneuerungen herauszufordern oder um mit Jean Paul zu sprechen: der Humor vernichtet das Endliche unserer Welt durch den Kontrast mit der Idee. Das ist schön und lange her. Heute hat man den Relativismus zu zelebrieren, um dem Sog des tödlichen Ernstes von Weltanschauungen und Wahnsystemen zu entgehen, stürzt jedoch, aller Bezüge enthoben, ins missionierte Reich des Lachglaubens. Dennoch hält der Karnevalist zu Ionescos Wort: „Am Abgrund hat man einen schönen Blick.“

Die Zweiteilung in Fastenzeit und heitere Zeit gilt nicht mehr für das Jahr, sondern bereits für den Tag:

Arbeit und Freizeit. Am Abend dringt der permanente Karneval durch den Apparat ins Haus und bewirkt audiovisuelle Verlarvung, Auflösung der Identität, Selbstvergessenheit, Turbulenz, Zufall, Ausgelassenheit, Improvisation, Täuschung, Rausch in Portionen. Ekstase ist auf Eis gelegt. Man überläßt sie den Heiligen und den Narren.

In den von der „Bewußtseinsindustrie“ oder besser „Unter bewußt-seinsbürokratie“ zur Verfügung gestellten organisierten Spielräumen verkommt der Humor und dessen gesunde Anarchie zur Pointe und zum Bonmot. Der letzte Ort der Freiheit wird zum Amüsement, die Heiterkeit harmlos institutionalisiert: Zeitungswitz, Komödie, Filmlustspiel, Faschingskränzchen. Scherz auf Abruf.

Die Hohe Kunst des Lachens hat ihre Zeit und Adepten gehabt, ohne jemals auf eine Hohe Schule des Gelächters zurückzugreifen. Entsetzlich wäre es, sich eine Akademie der Lachenden Künste vorzustellen. Humor lernen zu wollen, hieße ihn töten. .Man muß ihn unmittelbar erleben, erzeugen und kultivieren. Seine Gärten sind begehbar, seine Felder kaum besteUt.

Der moderne Karnevalist kann als Typus demnach zweigegliedert werden: in den unauffällig Verrückten, im Sinne Ernst Jüngers ein „Anarch“, und in den nach außen gerichteten Exzentriker, der in Symbolhandlungen die Selbstbestätigung feiert. Die Stadien der Auffälligkeit bis zur Unsichtbarkeit können durchlebt und durchinszeniert werden. Nicht selten ist der Karnevalist eine Frau oder aber wechselt das Geschlecht Er hat Doppelgänger, falsche Propheten, und wird gelegentlich Opfer von Mimikry,

Haben unsere kleinen Mädchen ihren Lewis Carroll, der ihnen Briefe mit Nonsense schreibt? Hat Alfred Jarry in seiner Pataphysik, der Wissenschaft imaginärer Lösungen zur Erstellung paralleler Welten, nicht endlich den phantastischen Humor als Basis einer karnevalistischen Wissenschaft eingeführt? Und die Dadaisten? Und Duchamp? Die Surrealisten? Man hat - wie geschichtlich erinnerlich - diesen alchimistischen Apotheosen des Humors mit Verfolgung, Prozessen, Gleichgültigkeit und Scheiterhaufen geant-

wortet und sie schließlich ins Museum abgeschoben, Abteilung: Damals. Diesen Vorgang hat Michel Foucault auch für den Wahnsinn, das Gefängnis und die Schule beschrieben: absondern, verwahren, numerieren. Narrenschiff, Narrenturm, Museum.

Carne vale, Fleisch ade, wie viele sagen dabei auch dem Esprit Lebwohl. In der Zeit des Faschings gibt es Laute, die der Karnevalist nicht mehr ohne Abscheu hören kann: Haha! Hahahahaha, haha, hahahaha-hahaha, hahaha. Er zieht sich in seine stille Bibliothek zurück und liest mit Freude im Meyer von 1896; „Der Karneval ist je nach Ländern und Städten von kürzerer oder längerer Dauer. Gewöhnlich wird er vom Fest Epiphania (6. Jänner) bis zum Aschermittwoch gerechnet; in Venedig fängt der Karneval jedoch bereits am St.-Stephans-Tag (26. Dezember) an, in Spanien beginnt er meist am St.-Sebastians-Tag (20. Jänner).

InLändern wie Belgien, Frankreich, Österreich und Süddeutschland sind die letzten drei Tage vor Aschermittwoch die eigentlichen des Karnevals, an denen dieser sich in seiner höchsten Blüte zeigt.“ In unseren Tagen blitzen die Messer nicht mehr in Venedig, sondern in Rio. The carnaval is over. Der Mummenschanz ja, aber der Leser weiß, never ends the carnaval.

Für Harlekin gibt es, nach Lichtenberg, nur einen schönen Tod: Totkitzeln. Man stelle sich vor: Museumsvitrine, zerbrochen und leer, ein lachhafter Luftzug. Der Ausbrecher ist unter uns.

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