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Morbus Monetarius

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Ich saß trübsinnig im Kaffeehaus. Niemand wollte meine literarischen Kunstwerke lesen, geschweige denn verlegen, und auch die perfekteste Schale Gold verliert ihren belebenden Duft, wenn sie mehr als eine halbe Stunde ungetrunken auf dem Serviertablett steht.

Zu allem Unglück betrat Reiner H., mäßig geschätzter Schulfreund und allseits gefürchteter Gymnasialprofessor, auf der steten Suche nach gesprächstherapiebedürftigen Opfern, das Lokal. Ich entging ihm nicht - wie sollte es an diesem Tage auch anders kommen. Mein notorischer Überfluß an Geldmangel hat-* te meine Abwehrkräfte geschwächt, ein aufmerksamer Kellner schnitt den Fluchtweg über Toilette und Nebenausgang ab. Eine Unterrichtsstunde wurde imvermeidlich.

Sie begann mit einer hochnotpeinlichen Befragung, meine derzeitigen Lebensumstände betreffend. Diktion und Mimik ließen an Widerspruch gar nicht erst denken. So legte ich mein berufliches und privates Leben minutiös offen, und vergaß auch nicht auf den gegenwärtigen allumfassenden Verdruß hinzuweisen, mit der für einen Vorzugsschüler gebotenen Zurückhaltung selbstredend.

Professor Reiner enttäuschte mich nicht. Gleich nach den ersten von Dutzenden Antworten sah ich der Bewegung seiner Augenbrauen an, daß er Bescheid wußte. Aber in jahrelang gestählter pädagogischer Geduld führte er sein inquisitorisches Testprogramm erst zu Ende, bevor er mir seine Diagnose offerierte: “Mein lieber Freund“, verwirrte er mich, denn wir waren eigentlich nie Freunde gewesen, “Dein Fall ist sonnenklar: Du leidest am morbus monetarius. An einer in unserer so gänzlich weltlichen und - vordergründig - rationalen Zeit leider sehr, sehr weit verbreiteten Seuche, ja, man könnte - zumindest in unseren Breiten - durchaus von einer Volkskrankheit sprechen. Du leidest am Geld, oder besser, an dessen Fehlen!“

Ich kam gar nicht dazu, zuzustimmen, da folgte schon die monetarische Anamnese: “Sicherlich wurdest Du schon als kleiner Junge knapp gehalten: kaum Taschengeld, Deine Leistungen im Haushalt wurden nur gering honoriert, für gute Noten gab es kaum mehr als ein Trinkgeld.“ Meine Achtung für seine diagnostischen Fähigkeiten wuchs.

“Dann mußtest Du Dir Dein Urlaubsgeld durch strapaziöse Ferienarbeiten selbst verdienen, während des Studiums natürlich nebenher jobben. Der Wechsel war klein, Stipendium gab’s trotzdem keins.“ Genau so war es.

“Kein Wunder, wenn Du - peu ä peu - dem Geide, hinter dem Du her sein mußtest, verfielst. Hast Du eigentlich einmal darüber nachgedacht, warum Du nicht, wie in der

Schule geplant, Schauspieler wurdest, sondern Wirtschaft studiertest?“ Ich hatte, ich hatte!

“Es geht Dir so, wie den meisten Unglücklichen in dieser materialistischen Welt. Ständig sind sie hinter Geld her. Sie sind längst Banko- holiker und träumen Tag und Nacht von nichts als Zins und Zinseszins, bis sie in eine totale Kreditabhängigkeit geraten und der imgebremsten Wechselsucht verfallen. “ Gott- seidank, so weit war es bei mir noch nicht.

Schon manch einer, der ohne jede böse Absicht und nur so aus Neugier in einem Scheckheft blätterte, winde zijm unheilbaren Pecuniatriker! “ Zerknirscht gestand ich, gelegentlich von unkündbaren Krediten zu träumen.

“Kehre um, besinne Dich, solange es noch Zeit ist“, ging er nahtlos zur

Therapie über, “entsage dem Mammon und allen seinen Produkten. Lebe wie ich in einer zugeteilten Gemeindewohnung, erhole Dich wie ich, in einem ererbten Schrebergartenhäuschen, nutze öffentliche Bibliotheken, und ląsse Dich wie ich, vorzeitig, pensionieren! “

Ich wollte noch erwidern, daß dies bei mir mangels beamtenrechtlicher Voraussetzungen nicht recht möglich wäre, da hatte er auch schon seinen Cognac und meinen Kaffee ausgetrunken und war mit knappem Gruß durch die Drehtüre entschwunden.

Das Zahlen hatte er total vergessen, die Zeiten kleinbürgerlichen Schuldbewußtseins hatte er hinter sich. Der geldkranke Kapitalistenknecht von Oberkellner leider nicht.

Er hielt sich an mich.

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