6814709-1973_01_13.jpg
Digital In Arbeit

Mosaiken, Königskronen

Werbung
Werbung
Werbung

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der europäischen Kulturgeschichte, daß eines ihrer interessantesten Kapitel, eines der ungewöhnlichsten und spannendsten Dramen zwischen Julius Caesar und Napoleon, bis vor kurzem nicht ausführlich und übersichtlich dargestellt wurde, — bis sich ein Liebhaber, nämlich John Julius Norwich, der Sohn des Diplomaten und Schriftstellers Duff Cooper, seiner annahm. Norwich wurde 1929 geboren, besuchte die Schule in Eton, war Lehrer in Oxford, trat 1952 in den diplomatischen Dienst und lebt jetzt als freier Schriftsteller.

Es begann mit einem Urlaub in Sizilien, im Herbst 1961, und wie viele Besucher der Trinacria war Norwich zutiefst beeindruckt und überrascht von dem, was er dort sah: die Dome und Paläste, die Mosaiken und Bronzereliefs in Cefalü, Palermo und Monreale, in Bari, Troia, Castel-vetrano und Messina. Diese ein goldenes Zeitalter der Kultur bezeugenden Kunstwerke, in denen sich Westeuropäisches mit Byzantinischem und Islamischem mischt, weckten den Wunsch, ihre Entstehungsgeschichte, zunächst für sich selbst, zu erforschen, und dann, als er bemerkte, daß es kaum Literatur darüber gab, einem breiten Leserkreis zu vermitteln. Schon zur Zeit Karls des Großen brandschatzten die Wikinger die Küsten des Mittelmeeres. Aber das eigentliche Abenteuer beginnt im Jahr 1016, als eine Gruppe normannischer Pilger in der Nähe von Foggia zum Monte Gar-gano gelangt und die Eroberung des schönen Landes ringsum beschließt. Trancred und Guiscard kamen aus dem Dörfchen Haute ville-la-Gui-chard in der Normandie. Bereits 1130, am Weihnachtstag, wurde Roger II. ihr Nachkomme, in Palermo zum König gekrönt. Aus der Barbarenhorde, die Rom in Brand gesetzt hatte, waren nicht nur Christen geworden, sondern auch weltläufige Fürsten und Könige, die sich mit arabischen und griechischen Gelehrten umgaben und deren Sprache erlernten, — und die schließlich Kunstwerke hinterlassen haben, von denen Dr. Otto Demus sagt, daß sie „in der byzantinischen und überhaupt in der mittelalterlichen Kunst ohne Beispiel sind“.

Die Schöpfer dieser kostbaren Mosaiken und Bauten sind die Cos-maten, komnenische Meister aus Konstantinopel, die während der Regierungszeit Rogers II. in den Jahren 1140 bis 1150 auf Sizilien tätig waren. Die Oberaufsicht hatte Georg von Antiochia, der als junger Levantiner dem Sultan von Mahdia gedient hatte und den Roger 1132 zum „Emir der Emire“ ernannte, das ist: zum Großadmiral, denn der Titel „Emir-al Bar“ bedeutet Emir zur See.

Palermo war damals der glänzendste Hof Europas und ein Zentrum der Wissenschaften, an dem sich Ärzte, Philosophen, Geographen und andere Gelehrte versammelten. Eine riesige Planisphäre aus 450 römischen Silberpfunden hergestellt — die leider zerstört wurde — und das Roger-Buch des Arabers Irdisi, das erhalten ist, bezeugen den unersättlichen Wissensdurst und die Leidenschaft für exakte Tatsachen, die ja auch Friedrich II. hatte, der mütterlicherseits, durch Konstanze, die Tochter Rogers, von den Normannen abstammte.

Auf Roger II. folgten Wilhelm der Böse — der nicht so schlimm war wie sein Name erwarten läßt, und Wilhelm der Gute. Ihre streitbaren Partner waren die Päpste Hadrian VI. und Alexander III. sowie König Ludwig VI. von Frankreich. Der Eiferer Bernhard von Cladrvaux spielte eine nicht immer durchsichtige Rolle, Arnold von Brescia und der Glücksritter Stephan de Perche agieren in diesem spannenden Stück Weltgeschichte, und von ihnen allen hat Norwich scharfkonturierte, mit angelsächsischer Unbefangenheit entworfene Porträts gezeichnet. Und immer wieder beschreibt er die großen Kunstwerke, die er im Register sogar mit 1 bis 3 Sternen versieht. Die wichtigsten finden sich in diesen beiden Büchern in schönen Reproduktionen.

Doch das Normannenreich in Unteritalien und seine Geschichte sind mehr als nur der Hintergrund von Kunstwerken. Sie sind auch Symbol der Tragödie Europas. Ein Reich der Toleranz und der Gedankenfreiheit, ein kulturell-wissenschaftlicher Umschlagplatz dreier Kontinente ist allzubald untergegangen. „Sein Ruhm glänzte, als die Sonne sank, nur um so goldener...“

DIE WIKINGER IM MITTELMEER: „Das Südreich der Normannen“ (1060 bis 1130) und „DIE NORMANNEN IN SIZILIEN“ (1130 bis 1194). 326 und 374 Seiten. Von John Julius Norwich. Verlag F. A. Brockhaus, Wiesbaden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung