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Nur ein Alibi?

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In Salzburg herrscht ein erfreulicher Trend zur neueren Msuik. Die Abneigung ihr gegenüber scheint zu schwinden. Insgesamt fünf Konzerte waren heuer ausschließlich Komponisten des 20. Jahrhunderts gewidmet. Und Namen, wie Mahler, Bartök, Prokofieff, Schosta-kowitsch, Strawinsky, Britten, sind in die früher konservativsten Programme, die fast ausschließlich auf klassisch-romantische Tendenzen reduziert waren, eingebrochen. Ja, selbst Herbert von Karajan, der zwar mit den Berlinern in Berlin auch neueste Kompositionen, zum Beispiel von Ligeti, aufführte, sich aber bisher in Salzburg stets spröde zeigte, greift nun wenigstens schon auf Mahler und Schönberg (wenn auch die „Verklärte Nacht“) zurück.

Triebfeder ist da natürlich bis zu einem gewissen Grad der ORF, der mehr denn je Interesse zeigt, Konzerte in Farbe fürs Fernsehen aufzuzeichnen und zugleich im Rundfunk direkt zu übertragen. Anderseits haben die nur „gängig“ programmierten Konzerte auch schon an Zugkraft verloren, wenn sie nicht gerade von Böhm oder Karajan oder den wenigen jüngeren Spitzendirigenten geleitet werden.

Aber trotz allen Versuchen, das seit etwa 15 Jahren allmählich erstarrende Programmschema aufzulockern, wird man den Eindruck nicht los, die neue Musik stehe hier doch auf mehr oder minder verlorenem Posten. Ein Gespräch mit Präsident Kaut etwa beweist, daß an eine erzieherische Aufgabe der neuen Musik hier niemand glaubt. Sollten also diese Konzerte bloß ein

Alibi sein, um sich weitere Vorwürfe zu ersparen?

Daß in die klassischen „Publikumsprogramme“ einzelne neuere Werke, zum Beispiel heuer Bartöks 3. Klavierkonzert unter Karajan, Mahlers „Sechste“ unter Abbado, gesetzt werden, ist ein notwendiger, sich organisch entwickelnder Prozeß. Daß in der (akustisch übrigens vollkommen unzulänglichen) Felsenreitschule ganze Konzerte mit Nonos „Composizione 2“, Schönbergs „Erwartung“, Strawinskys Psalmen-Symphonie, Henzes „Novae de infi-nito laudes“ bestritten werden, sieht indes mehr nach Alibi aus.

Der Grund für solche Vermutungen: Man ist eigentlich nicht einmal sonderlich interessiert, diese Karten abzusetzen. Zum Beispiel wußte jeder, daß bei den ersten dieser Konzerte die Felsenreitschule nicht nur nicht ausverkauft sein würde, sondern nicht einmal recht zu „wattieren“ war (weil man sich wie stets in solchen Fällen an die Falschen, die Uninteressierten gewendet hat!). Aber anstatt die hohen Festspielpreise (bis etwa 450 Schilling) zu senken und die Karten einem jungen Publikum, Gästen der Sommerakademie, den jungen Münchner Olympiadegästen usw., anzubieten, verschenkte man sie lieber gleich. Bei den nächsten Einsparungen und wenn der ORF nicht mehr so tapfer in die Tasche zu greifen bereit ist, wird man dann feststellen, daß solche Konzerte nicht einmal „auszu-verschenken“ sind. Sage einer noch, daß die neue Musik in Salzburg nicht in einem Teufelskreis steht.

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