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Nur keine Neue Technik

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Kennen Sie Ernst M.? Er ist einer der letzten Aufrechten. Er widersteht allen Versuchungen der neuen Zeit. Alles Technische ist ihm ein Greuel, er ist nur glücklich, wenn er Menschliches fühlt. Dennoch ist Ernst M. kein Gefühlsdusel. Er denkt scharf und liebt das Platonische. Deshalb ist er auch, trotz merkbar vorgerückten Alters, immer noch alleinstehend.

Sein Haushalt ist von der peinlichsten Ordnung, sein Wochenplan von klarster Ubersicht. Nur an Sonntagen und — es sei zugegeben — an besonderen Feiertagen läßt sich Ernst M., der Jungfrau-Geborene, ein wenig treiben.

Dann schaltet sich deutlich später als gewöhnlich, wenn auch mit demselben kaum hörbaren Knak-ken, die Hörfunkanlage neben seinem Bett ein und beginnt — mit festtäglich klassischer Musik—einen sanften Weckvorgang, um sich erst nach Freiwerden der Bettstelle stummzuschalten.

Ernst M. schlendert in sein Hygienecenter und nimmt mehrere nützliche Gerätschaften in Betrieb: die dreidimensionale Zahnbürste, einen hautschonenden Rasierapparat, einen Bauchmuskelmassagegürtel mit Rüttelantrieb.

Schon steigt aus der kulinarischen Versorgungszelle ein verlockender Duft nach frischem Kaffee: Eben ist derselbe durch den Filter getropft, und der Aromablock schaltet sich auf Warmhalten. Noch schnell die tiefgekühlten Semmeln in den Mikrowellenherd und das Fernsehen angestellt — die Sonntagszeitung wurde ja schon am Samstag gelesen —, und schon kann das beschauliche Sonntagsfrühstück beginnen.

Auch an einem Sonntag ist man vor dem Telefon nicht sicher. Eine unabsagbare Einladung aus dem engeren Familienkreis steht ins Haus. Nur das Wetter könnte Ernst M. retten. Ein rascher Blick auf die Wettermeldung im Tele-text schneidet auch diese Rückzugsmöglichkeit ab: Es soll strahlend schön werden. Also angezogen, fertiggemacht, per programmiertem Lift in die Tiefgarage, Wagen gestartet, Garagentor ferngeöffnet, und ab geht es Richtung Parkplatz beim S-Bahnhof. Parkkarte aus dem Automaten gezogen, S-Bahnkarte aus dem Automaten gezogen, eine Sonntagszeitung aus dem Automaten gezogen, die automatische S-Bahnanzeige beobachtet, die automatische S-Bahnschiebetüre per Tastendruck geöffnet. Das Schließen erfolgt automatisch.

Ankunft am Zielbahnhof: Die Erinnerungsautomatik an der Armbanduhr signalisiert, daß noch ein Blumenkauf für die Schwägerin bevorsteht. Ein Kontrollblick in die Brieftasche signalisiert Ebbe. Also schleunigst zum Bankautomaten zur Beschaffung von Barem, sodann' flugs zum Frischblumenautomaten, der sinnigerweise von automatischen Süßwarenspendern eingerahmt ist. Auch die Nichten und Neffen fordern ihr Recht.

In der Zwischenzeit ist es — ja, ist es denn die Möglichkeit! —, es ist erst knapp vor Mittag. Bis Ernst M. ermattet ins Bett sinken kann, um von sanfter Musik zum Träumen in den Wochenanfangsschlaf entlassen zu werden, wird er mindestens noch in Betrieb nehmen müssen: vier programmierte Lifte, drei Fahrkartenausgabeautomaten, zwei Eintrittskartenautomaten, je einen für ein Museum und für ein unvermeidliches „Freizeitparadies“, mehrere Radios, diverse Videoapparate mit passivem, aktivem, je mit „interaktivem“ Betriebsmodus und schließlich die Alarmanlage.

Unlängst habe ich ihn zur Rede gestellt. Wie er denn mit der Neuen Technik zurechtkäme?

“Ernst M. erstarrte in blanker Verständnislosigkeit. Er und Neue Technik, Computer gar?! Nein, damit wolle er nichts zu tun haben. Schließlich gäbe es für einen bewußten Bürger ja wohl noch genug andere Beschäftigungen, als Computer in Betrieb zu nehmen.

Und wenn ich es nicht glaubte, dann könne ich ruhig einmal ein Wochenende mit ihm gemeinsam verbringen, dann würde ich schon sehen... ,

Das habe ich getan.

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