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Platz für Träumereien

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Die Kommunisten entdek- ken jetzt die Aristokratie. Was dabei herauskommt, geht über das alltägliche Tratsch- und Klatschbedürfnis der Bevölkerung hinaus.

Wie er es denn rückblickend beurteile, fragte der Interviewer Herrn Karadjordjevic, ob die Kommunisten nach der Machtergreifung die Monarchie als politisches System weiterhin gefürchtet hätten? Aber nein, antwortete der Angesprochene, die Monarchie sei in Jugoslawien doch mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs endgültig beseitigt gewesen. Dennoch treffe es zu, daß die neuen kommunistischen Machthaber nicht nur verächtlich auf die Vorkriegszeit zurückblickten.

„Sie schnappten sich nach 1945 die Schlösser und Burgen und richteten sie fein her. Bekanntlich besaß Tito mehr Königshäuser als Könige vor ihm“, erklärt Karadjordjevic dem Magazin „Start“, einem Tratsch-Sex-and-Crime- Blatt, herausgegeben vom kommunistischen Verlagshaus „Vjes- nik“ in Zagreb.

„Herr Karadjordjevic“ - so die formelle Anrede auf sieben Zeitungsseiten - muß es eigentlich wissen. Denn er ist nicht irgendje-

mand, wie er ausdrücklich verstanden wissen will, sondern „Seine Königliche Hoheit Kronprinz Aleksandar von Jugoslawien“, wie schließlich in seinem britischen Paß geschrieben stehe. Und mitreden könne er allemal, denn er sei ja Jugoslawe.

Das sehen die heutigen Machthaber des Vielvölkerstaates an der Adria allerdings anders. Für sie ist die serbische Karadjordje- vic-Dynastie mit dem Attentat auf König Aleksandar in Marseille bereits 1934 von der politischen Szene verschwunden. Aleksan- dars Sohn, König Peter II., gilt für sie schon nicht mehr als Verkörperung der Staatsräson, sondern als Feigling, der 1941 beim Angriff der Achsenmächte durch seine übereilte Flucht Jugoslawien den faschistischen Okkupatoren leichtfertig in die Hände spielte — und „Herr Aleksandar von Karadjordjevic“ ist für sie ein einfacher britischer Staatsbürger, der nie jugoslawisches Territorium betreten habe und der hin und wieder durch Hochstapelei, Lie-

nigsdiktatur Anfang der dreißiger Jahre, einer Militärdiktatur zugleich, die König Aleksandar ausrief, als er den Vielvölkerstaat mehr und mehr durch nationale Konflikte auseinanderbrechen sah?

Denn auch heute erreichen die nationalen Spannungen zwischen dem albanisch besiedelten Kosovo, Serbien und Slowenien ein Ausmaß, das einige Generäle schon auf die Idee kommen ließ, nur ein Militärregime könne das Land noch retten. Und mittlerweile ist selbst die Kommunistische Partei in zutiefst verfeindete nationale Fraktionen auseinandergebrochen.

Eine Entwicklung, für die ein anderer Adeliger, Baron Wam- bold von Umstedt, kein Verständnis findet. Er erklärte dem slowenischen Wochenblatt „Mladina“: „Schon meine Großmutter, die Gräfin Harrach, hat auf die Frage, ob sie Tschechin sei oder Deutsche oder Slowenin, immer geantwortet, daß die Frage töricht sei, weil sie keine Flasche, auf die man banale Etiketten kleben könne, sei.

Doch nicht nur in Jugoslawien füllen Geschichten mit und über Aristokraten die Zeitungsspalten. Im benachbarten Ungarn läuft seit Wochen in mehreren großen Kinos ein Filmporträt über Otto Habsburg (FURCHE 7/1989). Was Habsburg in diesem Dokumentarfilm von seinem bayrischen

Domizil aus erzählt, wirkt zumindest auf den westeuropäischen Zuschauer ebenso weltfremd wie die Gedanken Aleksandars Karadjordjevic’.

Wohltuend hebt sich dagegen die Erzählung der Fürstin Jekaterina Mestscherskaja im Jännerheft des „Sputnik“ ab. Das sowjetische Skandalblatt, das vor Jahren nur auf den Spuren von Schneemenschen, außerirdischen Zivilisationen oder überdimensional übersinnlichen Kräften wandelte - sich aber seit Michail Gorbatschow zunehmend realitätsnäheren Themen zuwandte

(und damit in der DDR als „staatsfeindliche Schrift“ von den Kiosken verschwand, FURCHE 49/1988) -, entdeckt nun auch die Aristokratie als Thema.

Die Fürstin, die seit der Oktoberrevolution dreizehnmal im Gefängnis saß - und das nicht nur unter Stalin -, weiß ein Lied davon zu singen, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn Bürgerund Freiheitsrechte mit Füßen getreten werden.

Doch sie klagt nicht. Sie beschreibt in einer klaren Sprache, mit welch irrationalen Gesetzen man aus ihr eine Hilfsarbeiterin machen wollte, wie man sie durch Gehirnwäsche dazu bringen wollte, die deutsche und französische Sprache, mit denen sie an ihrem Hofe aufwuchs, zu verlernen; wie sie als Sündenbock herhalten mußte, wenn die vorgeschriebenen Fünfjahrespläne in ihrem Arbeitskollektiv scheiterten oder die Ziele der kommunistischen Machthaber zur „Herausbildung des neuen Menschen“ verfehlt wurden.

Die Schuldigen seien immer die bourgeoisen Feinde im In- und Ausland, verkörpert in ihr, der Fürstin, gewesen.

Sie erwartet keine Rehabilitierung. Das macht ihre Lebenserinnerungen so sympathisch. Sie erwartet allerdings eine Rückbesinnung auf Werte, die die Kommunisten Osteuropas mißachten zu können glaubten.

Beginnt man allmählich in der anderen Hälfte Europas auf die einst so verhaßte Aristokratie zu achten? Sieht man ein, daß man sich nicht aus der Geschichte fortstehlen kann und daß man die Rückbesinnung auf vergangen geglaubte Werte doch braucht?

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