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Polnische Passion

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Auf dem Friedhof, nur wenige Meter von der Kirche entfernt, ist die halb verfallene Grabstätte eines deutschen Priesters. Kein Mensch kümmert sich um das letzte Haus eines Mannes, der jahrzehntelang in dieser masuri-schen Gemeinde Kreuz und Auferstehung seines Herrn verkündete, auch nicht der polnische Kaplan, der nun schon zwei Jahrzehnte lang die Gemeinde betreut.

In der Marienkirche zu Danzig wird der Eintretende als erstes von dem trauernden Christus mit der Dornenkrone zum Verweüen und Betrachten angezogen, der rechts in einer schmucklosen Kapelle kauert, das gepeinigte Haupt in die Hand gestützt. In großen Lettern steht vor ihm auf den Boden geschrieben: Kapelle zur Erinnerung an die 2214 Priester, die in den Jahren 1939 bis 1945 in der Nachfolge Christi ermordet wurden.

Die Passion Christi läßt sich für einen Polen nur noch in polnischer Sprache, in polnischer Geschichte und mit polnischen Opfern nachvollziehen. Das Leiden Jesu und das Leiden Polens sind für dieses Volk untrennbar miteinander verbunden. Hat Rußlands Kirche ihre Kraft von dem Auferstandenen erhalten - bis zur Stunde leitet sich der Sonntagsname von Ostern her - so die polnische Christenheit von der Solidarität mit dem Gekreuzigten. Er und seine Mutter, die mater dolo-rosa, stehen im Mittelpunkt der Anbetung.

Vor fast zwei Jahren, am 15. Mai 1977, wurde nach zehnjähriger Bauzeit die neue Kirche in Nowa Huta, der Trabantenstadt Krakaus, vom Kardinal der Diözese den Gläubigen übergeben. Sein Name: Karol Wojtyla, als Papst Johannes Paul II. inzwischen der Welt bekannt geworden.

Beim Eintritt in das riesige Kirchenschiff wölbt sich, wie eine

Galionsfigur am Bug, vom Altar der Leib des Gekreuzigten dem Andächtigen entgegen. Mit seinen Armen scheint er den Querbalken der Kirche festzuhalten, Kirche und Kreuz, Christ und Passion Christi werden unübersehbar miteinander verbunden.

Die Kirche ist das Herz der Welt. Das Tabernakel weist darauf hin: Kreuz und Kosmos sind in ihm miteinander verbunden. Schon in seinem Ursprung ist der Schrein, in dem das Allerheiligste geborgen wird, ein Zeichen weltweiter Solidarität: Katholiken der Diözese St. Pölten in Österreich spendeten es - so wie Katholiken aus aller Welt zum Bau der Kirche beitrugen.

Der Sträfling in KZ-Uniform vor der groben Mauer, Maria, die den kindesklein gewordenen Christus auf den Armen hält, und die Tausenden, die bei jedem Gottesdienst die Kirche füllen: sie alle gehören zu der Kreuzgemeinde auf Erden und weiten sie über die Grenzen der polnischen Passion zur Christenheit der Welt, für die der Tod des Mannes aus Nazareth der erste Schritt zu neuem Leben ist.

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