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Skeleton Island

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II. Teil

Für die Schatzsucher, die über die ganze Insel schwärmten, war „des Bischofs Haus“ eine wohlbekannte Orientierungsmarke. Auch Oliver sprang aus dem Streckstuhl auf und eilte, auf dem Weg dorthin, zu Patricia, erzählte ihr alles und forderte sie auf, ihm so bald wie möglich zu folgen und beim Heben des Schatzes behilflich zu sein. Patricia und Domina starrten ihn an. „Beim Heben?“ stotterte Patricia. „Beim Heben des Schatzes? Glaubst du denn an den Schatz? Gehörst denn auch du zu den Narren, die wirklich daran glauben?“ — „Ja“, rief er, „und ich glaube nicht nur daran, ich weiß, daß es ihn wirklich gibt und wo es ihn gibt! Und ich eile hin und werde ihn finden, du wirst sehen! Und wir können heiraten! Ich bin ja so glücklich!“

Und mit diesen Worten rannte er davon, bewaffnete sich in einer der Buden, in denen das Schatzgräberzubehör zu haben war, mit einem „guten Glas“, das allerdings alt genug war, um vielleicht wirklich noch von einem Seeräuber zu stammen, stürzte ein zweites „gutes Glas“, nämlich voll Scotch on the Rocks, hinunter und zögerte danach keine Sekunde mehr, sich auf den Weg nach „des Bischofs Haus“ zu machen.

Poe weiß zu berichten, „des Bischofs Haus“ habe vor Zeiten einer Familie Bishop oder Bessop gehört, und in der Tat fand Oliver, neben der Felsanhäufung, ein Farmhaus vor, das freilich in Trümmern lag, seit die Bevölkerung von Oak Island, des Schatzes wegen, veranlaßt worden war, die Insel zu räumen. Er erstieg „des Bischofs Haus“, fand ohne sonderliche Mühe „des Teufels Sitz“ und ließ sich vorsichtig, wie das einst auch Legrand beziehungsweise Poe selber getan haben wollten, darauf nieder; und er saß nun auf diesem Sitze oder, besser, in ihm, wie auf einem zwar harten, aber die weitere Richtung, in die der Sitzende blicken sollte, --streng erzwingenden Fauteuil.

Sich gegenüber sah er nun, jenseits eines engen, fast schluchtartigen Tales, steil aufsteigenden Wald. Er versuchte, seinem Fernglas die im Dokument angegebene Eleva-tion von 41 Grad und 13 Minuten zu geben, fand aber natürlich weder eine Spur des Tulpenbaumes mehr noch das Loch im Geäst und schon gar nicht den auf den siebenten Nebenast des nördlichen Hauptastes genagelten Totenkopf.

Er verließ also „des Teufels Sitz“ wieder, stieg von „des Bischofs Hause“ hinab und durchquerte die Schlucht, die er vor sich gehabt hatte. Dann begann er, den jenseitigen Waldhang hinanzusteigen. Wie groß aber war seine Enttäuschung, ja sein Schmerz, als er ungefähr dort, wo der Tulpenbaum gestanden haben mochte, den Boden schon aufgewühlt fand. Größere und kleinere Gruben, seichtere und tiefere, älteren und neueren Datums, wieder überwachsene und fast noch frische bildeten süd- bis ostwärts von der Stelle, an der man sich die Reste des Tulpenbaumes zu erkennen noch einbilden konnte, einen Viertel- oder Fünftelkreis mit einem Radius von mehr als etwa fünfzig Fuß, „fifty feet out“ ...

Er untersuchte die ganze Umgebung und ließ sich in alle Erdlöcher hinab, fand aber von Kapitän Kidds Kiste nicht einmal mehr die Trümmer, keinerlei Beschläge, Handgriffe oder Ringe, nichts. Er rannte umher wie ein Rasender, und schließlich, völlig verstört, ja vernichtet, wankte er den Waldhang wieder hinab. Daß die Schatzgräber ein Volk gewesen seien, welches Poes Erzählungen so genau gelesen hatte wie er, Oliver, selber, war ganz unwahrscheinlich. Schon zur Zeit, zu der Poe seinen Bericht niedergeschrieben, hatten wohl schon die Spatzen die Gerüchte von dem Schatz von allen Dächern gepfiffen, und Poe hatte weiter gar nichts getan, als daß er sie den Spatzen nachgeschrieben hatte. Oliver war der einzige gewesen, dem windigen Literaten aufzusitzen, und der Schatz war dahin, unwiederbringlich, ja wahrscheinlich hatte es ihn nie gegeben.

Über diese Einsicht half ihm auch nichf^ hinweg, daß er unten auf Domina stieß, die ihm, mit zwei Spaten über der Schulter, nachgekommen war. Das gute Kind, von dem er gehofft hatte, es werde seine Schwägerin werden, hatte Mitleid mit dem in jeder Hinsicht Armen beziehungsweise auch weiterhin zur Armut Verurteilten empfunden, hatte die Spaten in einer der Schatzgräberboutiquen erstanden und war ihm nachgeeilt, um ihm beim Graben zu helfen ,..

Es tat ihm allerdings wirklich wohl, sie, gerührt, zu küssen, und sie berichtete ihm, ihre Eltern, denen Patricia erzählt hatte, Oliver scheine verrückt geworden zu sein, glaubten ebensowenig an die ganze Geschichte wie Patricia selber, ja der alte Deventer habe geschrien: „Ich habe es ja immer schon vermutet, es ist etwas mit ihm nicht in Ordnung, denn wie kann man heiraten wollen, wenn man überhaupt kein Geld hat als dasjenige, das man, in der Erde, noch nicht einmal gefunden hat! Ich verbiete dir hiemit strikt, den Narren jemals zum Mann zu nehmen — wenn er nämlich überhaupt bloß ein Narr ist und nicht sogar ein Schwindler, ein Heiratsschwindler, von dem nur Gott weiß, wie viele Bräute er schon gehabt hat und immer noch hat!“ Sie selbst jedoch, Domina, glaube so fest an den Schatz wie Oliver selber, und nun wollten sie beide nochmals hinaufsteigen und dazusehen, daß vielleicht doch noch etwas zu finden sei.

Das glaubte Oliver zwar nicht, küßte das gute Kind aber, dankbar, noch mehrere Male, und da ihm dies ein Vergnügen zu machen begann, wie er es anfangs eigentlich gar nicht vermutet hatte, stieg er mit Domina den Hang tatsächlich nochmals hinauf, wobei er sie stützte, damit sie nioht stolpere; und so, in der unbequemsten Stellung umschlungen wie ein modernes Liebespaar, das , allgemein bewundert zu werden wünscht, gelangten sie wieder hinauf zu den traurigen, leeren Gruben, wo sich nun auch Domina die Bescherung ansah. Dabei rieten sie hin und her, ob denn der Schatz nicht vielleicht doch noch anderswo als an den schon aufgewühlten Stellen zu finden sein könne. Dabei gingen dem jungen Mann die Worte der verfluchten Poesohen Ortsangabe immer von neuem durch den Sinn: „A good glass in the bishop's hostel in the devils seat forty one degrees and thirteen minutes north-east by north...“ Es war freilich unverständlich, warum, wenn die Richtung in der Horizontalen bloß mit „nordnordost“ festgelegt war, in betreff der Vertikalen, das heißt des Winkels, bis zu dem das Femglas zu heben war, solche Ubergenauigkeit walten sollte, insbesondere was die dreizehn Bogenminuten betraf. So exakt konnte man ein Glas, zumindest in der bloßen Hand, gar nicht einstellen. Dazu wäre etwas wie ein

Sextant nötig gewesen. Und fortwährend grübelnd stieg Oliver mit Domina den Hang, zum zweiten Male zwar, aber immer noch unver-richteter Dinge, das heißt, ohne das mindeste gefunden zu haben, wieder hinab.

Was aber Olivers Braut betraf, oder wie man seine Angebetete sonst noch nennen wollte, so mußte er in der folgenden Zeit eine Entdeckung machen, die ihn womöglich noch schmerzlicher traf als die Entäu-schung in bezug auf Kidds Reichtümer. Patricia nämlich geriet immer mehr in das Fahrwasser ihres Vaters und machte am Ende auch gar kein Hehl mehr daraus, daß sie ihn, Oliver, für ebenso überspannt hielt, wie er auch seitens des alten Deventer nur noch für einen Verrückten gehalten wurde, vor dem man sich in acht nehmen müsse, ja die ganze Sache drohte der — ohnehin aussichtslosen — Verlobung, oder wie man die Beziehung der beiden jungen Leute sonst nennen wollte, überhaupt ein Ende zu bereiten. Zunächst begann Patricia auch andere ihrer Verehrer nicht mehr so sehr abzulehnen, wie sie's bis dahin getan hatte, und insbesondere ein Mensch von fünfunddreißig bis vierzig, aus den Staaten gebürtig zwar, aber mit spanischem Namen, traf emsthafte Anstalten, Oliver den Rang abzulaufen. Er hieß Carvajal und war trefflichen, ja geradezu unangenehm guten Aussehens. „Aren't you a bit mex?“ fragte ihn schließlich Oliver, und da kein Mensch mehr in den angelsächsischen Gebieten der Staaten die Spanier achtet, war er ihn dadurch los, aber freilich nicht nur ihn, sondern, praktisch, auch Patricia.

Noch ein paar Tage lang durchwühlten Oliver und Domina das Terrain rings um die Stelle des verschwundenen Tulpenb^umes, dann gaben sie's auf, und Oliver suchte die Stätte seiner Enttäuschungen nur noch in den hellen Mondnächten jener Woche auf, wie das Grab einer verlorenen Geliebten. Dann versuchte ihn Domina dadurch zu trösten, daß sie ihm sagte, sie habe sich erkundigt und erfahren, daß er, wenn er den Schatz auch gefunden und gehoben hätte, verpflichtet gewesen wäre, ihn dem Staate abzuliefern und sich mit zehn Prozent des Wertes, also 3000 Pfund Sterling, hätte begnügen müssen. Mit den restlichen 27.000 Pfund aber hätten sich wohl die Prinzessin Anne von England und ihr Mark Philipps einen Rennstall angeschafft.

Oliver versuchte zu laohen, doch gelang's ihm nicht. „Laß mich doch wenigstens mit dir gehen, wenn du nachts so unglücklich hemmstreunst!“ bat ihn Domina. „Vielleicht würde dich das auf andere Gedanken bringen.“ Doch zuckte er die Achseln. „Wenn's dich freut“, sagte er bloß; und es trieb ihn wieder zum Tulpenbaum, und Domina ging mit. Ja nicht einmal die alten Deventers wagten's den Zweien zu verbieten, denn die Sache hatte sich schon so herumgesprochen und war in allen Einzelheiten erörtert worden, daß nicht nur Oliver selbst, sondern auch die so sehr mitfühlende Domina des allgemeinen Mitleids sicher war.

Im Walde aber, der vom Monde nur was weniges erhellt war, brachte Domina den Trübsinnigen wirklich auf andere Gedanken. Sie wurde nämlich zu ihm so zärtlich, daß er, statt daß er selbst sich um sie hätte bemühen müssen, nur die Früchte ihrer Bemühungen um ihn zu ernten brauchte; und er hätte dies auch wirklich schon getan — wenn er nicht auf einmal die Sohritte und die Stimmen sich nähernder Menschen vernommen hätte.

Sie beide, Oliver und Domina, drückten sich also noch weiter in die Büsche, in die sie sich ohnedies schon gedrückt hatten, und etliche Leute, nur undeutlich sichtbar, aber mit verchromten Werkzeugen, die im Mondenlicht bläulich aufblitzten, fingen an, im Nordosten des begonnenen Kreises von Gruben, wo er noch unberührt war, die Erde aufzuwühlen. Sie plagten sich so lange, bis Oliver und Domina, die ihnen, eng aneinandergeschmiegt, zugesehen hatten, auch ihrerseits das zu tun begannen, was junge Leute, wenn sie allzu lange im Finstern alleingelassen werden, eben tun ...

Sie waren damit aber kaum zu Rande gekommen, als sie aus nächster Nähe lautes Geschrei, Befehle und das prasselnde Feuer mehrerer Maschinenpistolen vernahmen. Zugleich huschte eine zweite Gruppe von Menschen, immerzu schießend, auf die erste nun gleichfalls feuergebende Gruppe zu, und nahm Verwundete und Un verwundete fest, dabei auch Olivers Freund Carvajal, der ihm so unsympathisch geworden war... ,

„Hätte deine Schwester“, sagte

Oliver zu Domina, mit der er hinzugeeilt war, „diesem Kerl nicht alles erzählt, um mich als verrückt hinzustellen, so wäre sie heute eine reiche Braut. So aber bist du es.“ „Ich?“ rief sie.

„Ja“, sagte er, „du mein Schatz“; und indem sie an die Grube herantraten, sahen sie im Mondlicht den eisenbeschlagenen Deckel der Schatztruhe des Kapitäns Kidd schimmern. Zwar waren die Gebeine der Menschen, die, von Kidd, einst mitbegraben worden waren, längst vermodert, aber die Kriminalbeamten, die der Bande das nächtliche Gefecht geliefert hatten, schlugen auch schon den Deckel der Truhe, etwa wie den eines Buches, auf — und da war die Truhe leer.

„Wie gut“, flüsterte Oliver seinem Mädchen zu, „daß ich sie längst ausgeräumt habe. Nun hat das Pack, zu allem übrigen, auch noch für das Verschwinden von Kidds Reichtümern einzustehen.“

Und er gab seinem Konkurrenten Carvajal, der schon Handschellen trug, einen Tritt.

„Aber woher hast du denn gewußt“, rief Domina, „wo der Schatz wirklich —“

„Leise, leise“, fiel er ihr ins Wort. „Einundvierzig Grad und dreizehn Minuten —“

„Einundvierzig — Wie denn? Was denn?“

„Nur nicht schräg aufwärts, wie bei einer Rakete —“ „Sondern?“

„— sondern seitwärts, mein Schatz!“ „Seitwärts?“

„Ja. Denn es ist nicht der Höhenwinkel, es ist der Seitenwinkel damit gemeint gewesen, die nordöstliche Abweichung von der Linie vom Stamm zur Stelle, auf die das Lot durch das linke Auge des Schädels gefallen wäre, nicht der Schuß vom Stamm durch jene Stelle selbst. Das hatte nur Edgar Poe geglaubt. Ich habe ja gewußt, warum ich diesen Menschen, von dem ich sogar die Gedichte hatte auswendig lernen müssen, schon in meiner Schulzeit nicht leiden konnte ...“

Und damit zog er Domina an sich und küßte sie. Doch da wurden die beiden, da sie bei der ganzen Geschichte mit dabei gewesen waren, auch schon verhaftet. Aber weil Oliver derjenige war, der dem Staate den Schatz wirklich gestohlen hatte, ließ man sie bald darauf wieder frei.

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