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So nicht

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Nein, so geht das nicht, Marcel Ophüls; lassen Sie sich das von einem lebenslangen Antinazi (15 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust unter Hitler) gesagt sein.

In Ihrer vierstündigen Dokumentation über den Nürnberger Prozeß und die Folgen“, die vom ORF eine lange, schlaflose Nacht hindurch ausgestrahlt wurde, war von allem und jedem die Rede, das nicht dazugehört. Interessant waren die Wochenschauen, zugegeben, aber das sind sie immer, interessant waren die nachträglichen Bekenntnisse des Gefängnispsychologen, der Ankläger, der Verteidiger. Von Albert Speer allerdings haben wir schon etwas gehört. Dasselbe nämlich.

Aber welchen Sinn hatte es, Marcel, splitternackte Bundesdeutsche in einer Sauna über Adolf Hitler zu befragen? Welchen Sinn hatte es, in Schleswig-Holstein einen uralten Trottel aufzustöbem, der immer noch an das Dritte Reich glaubt? Und warum haben Sie vergrauste amerikanische Vietnam-Deserteure jener armen Witwe eines Gefallenen gegenübergestellt, die sich selbstverständlich daran klammert, daß ihr Mann für Recht und Freiheit, für alle Ideale Amerikas gestorben sei? War das geschmackvoll?

Warum sah man, was nach der Justifizierung nationalsozialistischer Kriegsverbrecher die Franzosen dennoch in Algerien getrieben haben, ohne zu erfahren, zu welchen Greueln (Kastrieren, Zunge herausschneiden) die Araber gegenüber Europäern fähig waren?

Ist Ihnen, Marcel, und ist allen ach so fortschrittsgläubigen Westlern denn immer noch nicht aufgegangen, daß jedes Volk unter gewissen Umständen zu jeder Niedertracht gebracht werden kann, sorgt eine Schar von politischen Psychopathen erst so richtig für Stimmung - ? Wie war denn das mit den Jakobinern in Frankreich, mit den Bolschewiki in Rißland? Warum, ja warum nur, war von Rußland, wo die Barbarei sich auf eine jahrtausendealte Tradition stützen kann, so gut wie gar nicht die Rede? Kaum hörbar glitt das Wort „Katyn“ durch die Lautsprecher, unverständlich für jene Zwanzigjährigen, Marcel, die Sie befragen ließen, um darzutun, daß die angeblich unbelehrbaren Deutschen alle Schrecknisse der Vergangenheit zu „verdrängen“ trachten.

Wie weise waren doch die „reaktionären“ Bourbons, als sie 1815 nach Frankreich zurückkamen. Sie fragten keinen, sie ent-jakobinisier- ten keinen, sie wollten ,Jür alle Franzosen dasein“. Die Franzosen haben das nicht honoriert, inzwischen aber sollten wir alle daraus gelernt haben.

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