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Spektakel starker Männer

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In Wien sind die starken Männer wieder unterwegs, auf dem Heumarkt fallen gewaltige Fleischkolosse übereinander her und beweisen dabei eine erstaunliche Elastizität. Beim Freistilringen ist, wie der Name schon sagt, jeder Griff erlaubt, was bei den Zuschauern auf den Tribünen Lustschauer erregt und sie den

Eintrittspreis in das Spektakel vergessen läßt. Allem Anschein nach sind aber auch die stärksten Männer nicht gegen findige Gewandtheit gefeit, was vor mehreren Jahren zum Siegeslauf des kleingewachsenen siamesischen Meisters ,J3o-Ga-Tshi” führte und außerdem der Wiener Polizei ein Ruhmesblatt eintrug. Die Erinnerung daran sei erlaubt. Ihrer Dienstpflicht entsprechend hatte die Polizei ein wachsames Auge auf die Massen, die da mit Rufen wie „Reiß eahm d'Ruben oba!” und „Hau's z'samm', die Magermilchzentralen!” die Gladiatorenkämpfe auf der Matte begleiteten.

Den Freistilringern ist jeder Griff erlaubt. Wenn man bedenkt, welch reiche Gelegenheit zur Brutalität sie damit gewinnen, so muß man die Mäßigung loben, mit der sie davon Gebrauch machen. Sie springen sich höchstens einmal gegenseitig in den Bauch oder rammen die Köpfe gegeneinander, aber blutig schlagen sie sich nie. Auch warten sie immer nach einem Niederschlag gutherzig, bis der Gegner wieder voll auf den Beinen ist, und gewisse Haken, die beim Boxen unfehlbar zum k. o. führen, vermeiden sie in stiller Übereinkunft. Manche Beobachter erkennen zu ihrer Überraschung, daß wuchtig geführte Hiebe ihre niederschmetternde Wirkung auch dann üben, wenn sie sichtlich danebengegangen sind.

Es war also immer sehr spannend. Die Erregung erreichte ihren Höhepunkt, als ein neuer Hauptdarsteller auf die Matte trat, der sehr vielversprechend aussah. Er trug einen mongoloi-den Schopf und wurde außer der Reihe vorgestellt, wozu die Musik dumpfe fernöstliche Töne von sich gab. Mit über der Brust gefalteten Armen und in strenger Nabelbeschau begab er sich auf die Bühne, kniete feierlich nieder und verschwand schweigend wieder in der Garderobe.

Beim Kampfe zeigte sich dann, daß er es in sich hatte. Er war nicht so massig wie sein Gegner, aber er umkreiste die Muskelkolosse wie eine Hyäne und entzog sich jedem Griff geschmeidig wie ein Aal. Blitzschnell brachte er an günstigen Stellen den Gegnern Schläge mit der Handkante bei, die diese sonst unerschütterlichen Zentnerlasten überraschend zusammensacken ließen. Jeder der Zuschauer hatte auf einmal das Gefühl, einer edlen Überlegenheit des „geistigen Kämpfers” über die rohe Gewalt beizuwohnen. Der „Dschiu-Meister von Siam,

Bo-Ga-Tshi” war in aller Munde. Flüsternd verglichen die Zuschauer die gelbe Haut des Siame-sen mit dem Schweinchenrosa seiner Partner; man erschauerte bei seinen religiösen Riten, und Intelligenzler sprachen eindringlich flüsternd von den geheimnisvollen Kräften, die einem Gläubigen von seinen Göttern verliehen würden. Es blieb auch in der Tat fast kein Zweihundertpfünder übrig. Mit einem leisen Ächzen sank der gewaltige Recke Vichto-nen aus Finnland in die Knie, als ihn der Siamese katzenartig ansprang und seine Füße wie im Türkensitz um seinen Leib schlang, um also, auf dem Menschenberg reitend, zwei geräuschlose Hiebe gegen seine Halsschlagadern zu führen. Mit melancholischer Miene legte sich der mächtige Slawe Stefanovic aufs Ohr und stand nimmer auf.

Aber einmal begann sich das Blatt zu wenden: die Götter verließen ihren Liebling, wollte es scheinen. Er begann zu verlieren, schrumpfte sichtlich ein, der Stern der Kolosse stieg wiederum auf. Besserwisser behaupteten, sie hätten es satt gehabt, immer hilflos niederzusinken und den Triumph eines Möchtegern zu erleben. Andere wiederum wollten den geheimnisvollen Bo-Ga-Tshi mit einem Gamsbärtchen auf grünem Hut in der Straßenbahn erkannt haben. Und nun griff auch die Polizei ein. Sie fahndete nach den Papieren des Halbgottes. Weshalb ihr das jetzt erst einfiel, ist unbekannt.

Die polizeilichen Erhebungen aber hatten ein verblüffen-das Ergebnis. Der Meister von Siam war ohne Papiere über die nahe Grenze gekommen. Ungarn war sein Geburtsland, und er gestand, daß er Ferencz Pogäcsy hieße. Den E-Infal-Tspi-Nseln, die ihn für einen echten Siamesen gehalten hatten, hatte er seine Rolle glänzend vorgespielt. Und ebenso die anderen Muskelspieler, die ebenfalls nach Kräften bemüht gewesen waren, den Zuschauern ohne viel Risiko, aber bestimmt nicht umsonst, Schauer über den Rücken zu jagen.

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