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Unsere Brüder

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Sicher sind Sie schon einmal in einem Park einer Gruppe junger Leute begegnet, die sangen und dazu Gitarre spielten. Mancher Vorübergehende blieb stehen, sah zu. Dann trat einer aus der Spielerrunde hervor, sprach ein paar Worte, las ein Stück aus der Heiligen Schrift, erklärte sie, oder hielt in dem Park eine kleine Predigt. Oft hörte man aus seinem Akzent, daß er aus dem Ausland kam. Doch der Eifer der Gruppe war groß. Vorübereilende und Zuhörer bekamen ein Blatt in die Hand gedrückt, eine Einladung zu einem Plauderstündchen und gemeinsamem Singsang.

Eines Nachmittags hörte ich auf einer Bank im Park, wie sich einige ältere Leute miteinander über so eine Einladung unterhielten. Wie nett diese jungen Leute gewesen wären, jedem Gast hätten sie zugehört und sich um ihn gesorgt, lustige Lieder hätten sie mit den Alten gesungen und am Schluß - das kam ein wenig schüchtern und geniert heraus - hätten sie alle gemeinsam gebetet. Das wäre ein schöner Nachmittag gewesen! Kommt wieder, wir wollen euch näher kennenlernen, hätten sie gesagt.

An diesem Sommersonntag war ich zur Abendmesse in meiner Pfarrkirche. In den vorderen Bänken saßen verstreut einige Menschen, rechts in jeder Bank am Eck und weiter hinten gab’s noch eine Handvoll Leute. Doch jeder war für sich allein. Keiner nahm von dem anderen Notiz, das merkte man sogar bei dem Lied „Wohin soll ich mich wenden“, an dem recht zaghaften Gesang. Der Geistliche vorn redete, am besten man machte die Augen zu und hing so seinen eigenen Gedanken nach…

War das vielleicht eine christliche Gemeinde? Hier hatte man wohl die Herrenworte „Wenn Du beten willst, geh in Dein Kämmerlein“ mit der Ver

Sicherung Jesu verwechselt: „Wenn zwei oder drei miteinander beten, dann bin ich mitten unter ihnen.“

Ich glaube, niemand der Anwesenden hat an ein Miteinander gedacht. Der Pfarrer hat sie auch gar nicht eingeladen, sich näher um seinen Altar zu scharen. Das Brot brach er genauso einsam, wie jeder auf seinem Platze saß.

Ich frage: Wo hat sich wirklich Christi Gemeinde ereignet? Etwa dort in der Landpfarre, wo jeder jeden kennt und man sich bei dem Gruß „Der Friede sei mit euch“ lächelnd die Hand drückt? Wer aber reicht der jungen Frau mit Kind, die nun schon zwei Jahre im Ort wohnt, seine Hand? Die ist nicht mit ihnen aufgewachsen, die gehört nicht zu ihnen.

„In der Familienrunde könnten wir sie vielleicht noch verdauen“, hatte ihr offenherzig einer vom Pfarrbeirat geraten. Das war auch nicht gerade eine Einladung. In diesem Getto ist sie ein Fremdkörper. „Kommt alle zu mir“, dieses Schriftwort haben sie anscheinend noch nicht gehört. Hat die Institutionalisierung so stark um sich gegriffen, hat sie sogar die Landgemeinden erfaßt, daß die Liebe Christi, das „Sorgt euch umeinander“ auf der Strecke blieb?

Da wird gewettert, immer noch und immer wieder, gegen die sogenannten „Sekten“ - von der Kanzel, von den Medien. Ich meine ausdrücklich hier nicht die Moon-Sekte oder andere „illuminierte“ Gruppen - nein, allzuoft geht es gegen die vielen kleinen und größeren christlichen Freikirchen wie die Baptisten, die Adventisten, Methodisten und wie sie alle heißen mögen. Dabei könnten wir Katholiken gerade von diesen manches an Familiensinn, brüderlicher Gemeinschaft und Offenheit für jeden, der zu ihnen kommt, lernen!

Sicher gibt es unter ihnen in ihrem Eifer ganz penetrante. Wenn etwa ein Autobus voll „Missionsbegeisterter“ eine Landgemeinde heimsucht und wie ein Bienenschwarm in jedes Haus und Gehöft einfällt, ist dies wahrlich kein freudiger Anlaß für einen agilen Pfarrherrn, der seine Schäflein gut kennt!

Müssen wir uns hierzulande wirklich gegenseitig das Wasser abgraben? Warum klappt die Zusammenarbeit in den Missionen in Afrika und Asien? Muß man sich in unseren Breiten gegenseitig verteufeln? Nicht einmal scheel anschauen sollten wir einander! Gegenseitig gäbe es so manches zu lernen. Auf dem Mißtrauen gegeneinander aber können keine guten Früchte wachsen.

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