6956814-1984_33_05.jpg

Von den Tugenden des Lehrerseins

19451960198020002020

Die innere Schulreform verlangt eine Neubesinnung auf die Tugenden des Lehrerseins durch eine Neuorientierung der Lehrerbildung, meint der Pädagogik-Ordinarius Marian Heitger.

19451960198020002020

Die innere Schulreform verlangt eine Neubesinnung auf die Tugenden des Lehrerseins durch eine Neuorientierung der Lehrerbildung, meint der Pädagogik-Ordinarius Marian Heitger.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Herbst geht's los: Über den Winter sollen die Betreuungslehrer eingeschult werden, die sich dann der künftigen Lehramtspraktikanten annehmen sollen. Was seit mehr als einem Jahrzehnt zäh verhandelt wurde, wird nun endlich Tatsache: ab nächstem Jahr müssen alle künftigen Gymnasiallehrer während ihres Studiums ein achtwöchiges Praktikum an einer Schule absolvieren, um im „Fronteinsatz" ihren künftigen Beruf kennenzulernen (und dabei auch ihre Eignung testen zu können).

Das aber wäre der Zeitpunkt, das Stichwort „Innere Schulreform" aufzugreifen, meint der Pädagogik-Ordinarius an der Universität Wien, Marian Heitger; das Stichwort, das in den vergangenen Jahren zum Allgemeingut geworden ist, obwohl sich nur wenige etwas darunter vorstellen. Jetzt wäre es Zeit, die Philosophie der Lehrerbildung zu überdenken ...

Heitger, selbst von Beginn an Mitglied der Schulreformkommission und damit an den bisherigen Arbeiten entscheidend beteiligt, sieht in der „inneren" Schulreform keinen Gegensatz zur „äußeren", sondern einen anderen Aspekt, eine Ergänzung—die Hinwendung des Blicks auf das Binnenleben der Schule.

Die Schulreform der vergangenen 20 Jahre war ein Instrument des politischen Willens, die Schule den Gegebenheiten der Gesellschaft anzupassen. Nun muß der Einzelmensch, der Schüler, in den Mittelpunkt der Überlegungen treten, mit der Frage, wie das Bildungsgut zu verstehen, wie es in der Schule vollzogen werden kann, meint Heitger. Das aber kann nicht auf empirischen Erhebungen aufgebaut werden; da kann es keine wertfreien Standpunkte geben.

Wie kann aber dem Auftrag auf Bildung und Erziehung entsprochen werden? Der Schüler muß wieder lernen, das Erlernte nicht nur mit dem Blick auf seine Wie-der Verwertbarkeit zu sehen, sondern als Möglichkeit, mit mehr Wissen besser an der Wahrheit teilhaben zu können.

Der vielkritisierte „Leistungsdruck" der Schule wird dann seine Schrecken verlieren, ist Heitgers Überzeugung, wenn die Leistung nicht im Konkurrenzdenken um die spätere Verwertbarkeit erbracht wird, sondern mit dem Ziel, humaner zu werden, dem Mitmenschen besser helfen zu können. Diese Blickrichtung müßte auch die Motivation des Schülers verbessern. In diesem Zusammenhang kann die Frage nach der Leistungsbeurteilung, nach den umstrittenen Noten, nicht ausbleiben.

„Nicht an Symptomen kurieren!" mahnt der Pädagoge, der die Diskussion, ob nun vier, fünf oder zehn Noten in der Skala besser seien, als Unsinn bezeichnet. „Objektivierung?" Der Mensch ist eben kein „Objekt", das nach Skalen gemessen werden kann. Natürlich bleibt das Problem der Gerechtigkeit, der gerechten Beurteilung bestehen — aber ist es gerecht, dieselbe Note auf zwei scheinbar gleich gute Arbeiten zu geben, wenn die eine von einem hochbegabten Schüler stammt, der sich „spielt", die andere von einem weniger begabten, der sich aber diesen Erfolg bitter abgerungen hat?

Heitger fordert den „intuitiven Nachvollzug der gesamten Persönlichkeit des Schülers", er fordert eine „Würdigung" der Leistung statt der Bewertung. Außerdem kommt es gar nicht so sehr auf die Note als auf ihre Bewertung an — denn der gleiche „Zweier" verlangt von Schule zu Schule, mitunter von Lehrer zu Lehrer sehr unterschiedliche Leistungen, trotz aller Vorschriften für eine „objektive Beurteilung".

Apropos Vorschriften: Viele der Paragraphen, die in den vergangenen Jahren erlassen worden sind, müßten fallen, um diesen Grundsätzen der inneren Schulreform entsprechen zu können, sieht Heitger voraus. Die Schule ist eben nicht nur eine Verwaltungseinheit, deren Leben von A bis Z durch Vorschriften geregelt werden kann. Sie muß zuerst ein pädagogischer Ort sein; für die pädagogische Freiheit in der Schule muß erst wieder Raum geschaffen werden. An die Stelle der Paragraphen muß wieder stärker das Vertrauen zum Lehrer und in seine pädagogischen Fähigkeiten treten.

Das aber, fordert Heitger, setzt eine Neuorientierung der Lehrerbildung voraus: Statt der bloßen Vermittlung sozialwissenschaftlicher Technologien das stärkere Bewußtmachen des inneren Auftrags der Schule, die stärkere Betonung des pädagogischen Ethos!

Deswegen wird auch das „Internationale Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften" in Salzburg, wo Heitger das Institut für Medienpädagogik leitet, sein fünftes, der Inneren Schulreform gewidmetes Symposion im Oktober unter das Thema „Tugenden des Lehrerseins" stellen.

Ein „unmodernes", „ungefragtes" Thema? Ist mit der Lehrergeneration, die in den vergangenen 20 Jahren im Zeichen der Schulreform ausgebildet wurde, überhaupt über„Tugenden"zu reden? Kann mit ihr angepeilt werden, was Heitger unter „innerer Reform" verstanden sehen will?

Der Pädagoge läßt eine gewisse Skepsis erkennen. Aber unter der nachwachsenden Generation, vielleicht noch mehr in Deutschland als etwa in Österreich, sei ein so starkes Verlangen nach einer Befassung mit philosophischen Grundfragen festzustellen, daß man sich Hoffnungen machen kann.

Und das Thema des Symposions möchte Heitger eher provokant als unmodern verstehen. In diesem Sinn hat auch Bundespräsident Kirchschläger seine Teilnahme und sein Eröffnungsreferat zugesagt. Vorträge und Diskussionen werden dann wieder wie die der bisherigen Veranstaltungen des Salzburger Instituts im Verlag Herder veröffentlicht werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung