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Schnittig in eine neue Sdiulära

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„Man kann sich die Schulreform nicht ersitzen — was not tut, ist Forschung!” rief der aus Aachen nach Wien gekommene Pädagoge Walter Schöler vor seinem Auditorium der Alpbacher Hochschulwochen und warnte vor Einberufung immer neuer Ausschüsse, die ohne eindeutige Forschung immer nur „Ausschuß”- Arbeit leisten könnten. Unmittelbar darauf trat die Strukturkommission zum erstenmal zusammen, der größte Ausschuß der vom Parlament einberufenen Schulreformkömmission, und bestätigte, was Schöler 500 Kilometer weiter westlich gefordert hatte: Die Universitätspädagogen gaben die Richtung an, die empirische Forschung wurde als Voraussetzung jeden Erfolges unterstrichen. Im Schulversuch soll praktisch geklärt werden, was in der Theorie als hoffnungsvoll erarbeitet werden würde.

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„Man kann sich die Schulreform nicht ersitzen — was not tut, ist Forschung!” rief der aus Aachen nach Wien gekommene Pädagoge Walter Schöler vor seinem Auditorium der Alpbacher Hochschulwochen und warnte vor Einberufung immer neuer Ausschüsse, die ohne eindeutige Forschung immer nur „Ausschuß”- Arbeit leisten könnten. Unmittelbar darauf trat die Strukturkommission zum erstenmal zusammen, der größte Ausschuß der vom Parlament einberufenen Schulreformkömmission, und bestätigte, was Schöler 500 Kilometer weiter westlich gefordert hatte: Die Universitätspädagogen gaben die Richtung an, die empirische Forschung wurde als Voraussetzung jeden Erfolges unterstrichen. Im Schulversuch soll praktisch geklärt werden, was in der Theorie als hoffnungsvoll erarbeitet werden würde.

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Man ging die Sache mit Elan an. Schon unter dem Eindruck der aus- gebrochenen Ferienzeit hatte sich die Gesamtkommission am 1. August im Mammutumfang von mehr als 40 Personen konstituiert. Kaum fünf Wochen später fand sich die Hälfte ihrer Mitglieder zum Start in die Materie zusammen. Prof. Marian Heitger bot die Diskussionsgrundlage und verhinderte damit, daß die erste Sitzung mit der Abgabe von Statements vergeudet worden wäre. Zur allgemeinen Überraschung zeigte sich, daß,.diese Grundlage, die von Heitger als Ausgangsbasis formulierten Bildungsziele, von keiner Seite Widerspruch erfuhr.

Die Schule soll zur personalen Autonomie, zur Mündigkeit erziehen, hineinführen in die Verantwortung für Gesellschaft und Gemeinschaft. Sie soll die Bereitschaft zum ständigen Weiterlernen wecken, die Fähigkeit und Bereitschaft zur sozialen Kooperation, zur Kommunikation, damit zum Wissen um die Informationsquellen, um ihre kritische Prüfung. Die Schule soll zur Fähigkeit und Bereitschaft zu innovativem Denken, damit zur ständigen Weiterbildung erziehen, zur Fähigkeit, das eigene Wissen in seinem gesellschaftlichen Bezug zu sehen. Sie soll das methodenkritische Bewußtsein als Form der Selbstkritik wecken, helfen beim Erwerb eines selbstgerechtfer- tigten und verantworteten Weltbildes und Wertsystems und anleiten zur Kreativität als Ausdruck der produktiven menschlichen Vernunft. Waren diese Grundsätze, weniger in fachliche Formeln gepreßt, nicht seit je die Leitlinien des heute so verschrienen „elitären” Gymnasiums? Auch die Intentionen der Schulgesetze von 1962 waren keine anderen, wie raun die Parlamentarier beider Großparteien verteidigend gegen die Angriffe der Kritiker einwandten. Nur war es nicht möglich gewesen, diese Grundsätze auch in die Praxis umzusetzen. Aus wessen Schuld?

Da der gebotene — nicht als vollständig gedachte, aber weit umfassende — Katalog der Bildungsziele offenbar keiner Ergänzung bedurfte, ia man außerdem ebenso einig darüber war, daß sich die Fragen der Lehrinhalte und Lehrpläne wie der Schulorganisation nur in ununterbrochenem Zusammenhang mit diesen Zielen klären lassen würden, trat die Generaldebatte sehr bald in die Behandlung der Fragen ein, wie man diese Inhalte in die gesetzestechnische und wie in die Schulpraxis umsetzen könne.

Lehrerbildung und -fortbildung bot den einen Komplex, die Gewinnung des Schülers zur aktiven Mitarbeit den anderen. Der Salzburger Pädagoge Rudolf Gönner sprach von obligatorischen Fortbildungskursen für Lehrer im fünfjährigen Turnus. Im heurigen Sommer — berichtete Sektionsrat Leitner — hatten tausend Mittelschulprofessoren an vier solchen •Seminarien teilgenommen — womit aber auch bereits die Hälfte der für die Fortbildung verfügbaren Budgetmittel erschöpft war. Ein erster Hinweis auf die Erkenntnis, daß Österreichs Schulbudget wohl verdoppelt werden müßte, um eine zielführende Reform durchführen zu können.

Immerhin gibt es auch Neuerungen, zu denen man keine Grundsatzreform, keine neuen Gesetze braucht (aber sicherlich mehr Geld). So kündigte Minister Mock Vorarbeiten für ein System einer gezielten Förderun’g für schwache Schüler an, mit denen dem leidigen Nachhilfestundenübel abgeholfen werden soll.

Außer mehr Geld aber bedarf es vor allem der Bereitschaft mitzuarbeiten i— bei Lehrern und Eltern —und, um diese Bereitschaft zu wecken und zu stärken, einer intensiven Informationsarbeit. Gerade die Schulver- suche, in denen Neuerungen erprobt werden sollen, erfordern besondere Beweglichkeit’ der Teilnehmer. Die drei neuen Sportgymnasien erfreuen sich regen Zuspruchs — aber als in Salzburg dafür geworben wurde, Hauptschülerinnen aus der zweiten Klasse in eine höhere Schule zu übernehmen, meldeten sich nur vier Interessentinnen. Wie soll dann getestet werden können, ob sich Hauptschülerinnen ebensogut einfügen können wie ihre Kameradinnen, die schon zwei Jahre auf derselben Schule durchgestanden haben? Pioniergeist ist gefragt — bei Lehrern und Eltern. Hoffentlich ist er im nötigen Ausmaß vorhanden. Vielleicht wäre es gut, wenn ln der Kommission nicht fast ausschließlich Lehrer, aktive oder ehemalige — auch von den fünf Politikern sind vier Lehrer —, säßen und die wenigen Nichtpädagogen die Gesichtspunkte der „Konsumenten” pädagogischer Tätigkeit mehr in die Waagschale würfen. Vielleicht wäre es auch gut, wenn Vertreter konservativer Anschauungen anwesend wären, um der Einmütigkeit des Fortschritts gegenüber einen Anlaß zur Selbstprüfung zu geben — je schnittiger ein Wagen zu fahren imstande ist, desto wichtiger sind gute Bremsen. Nicht um ihn aufzuhalten, sondern um dem Fahrer das Gefühl der Sicherheit zu geben.

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