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Digital In Arbeit

Wer mehr will als Zeitvertreib, muß auf die Schulbank...

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Noch bevor sie in Österreich richtig Fuß gefaßt hat, läuft die Animation Gefahr, in Mißkredit zu geraten. Von einer Handvoll Eingeweihter abgesehen, weiß niemand, was Animation bedeutet, aber schon wird dem Animateur vom Fremdenverkehr der Stempel der Beschäftigung als Freizeitvertreiber vom Dienst aufgedrückt. Eine regelrechte Freizeitindustrie ist entstanden, die den ihrer ständig mehr werdenden Freizeit hilflos Ausgelieferten das Geld aus der Tasche zieht.

Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts waren tägliche Arbeitszeiten von zwölf Stunden und mehr eine Selbstverständlichkeit. Seit der Einführung des Achtstundentages verfügen wir - von den doppelt belasteten und den mit der Kindererziehung allein belasteten Hausfrauen abgesehen - über mehr Freizeit als je zuvor. Warum können so wenige ihre Freizeit genießen? Warum brauchen wir Animateure, Leute, die ihnen beibringen, wie sie diese Zeit verbringen sollen?

Untersuchungen über das „Freizeitphänomen“ haben ergeben, daß Menschen, die an ihrer täglichen Arbeit Freude haben, sich mit ihr identifizieren können, auch imstande sind, ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Die Flucht aus der Unzufriedenheit am Arbeitsplatz führt zum Wunsch nach Zerstreuung und Ablenkung und zum „Vor-sich-selbst-Davonlaufen“. Je monotoner die Arbeit empfunden wird, desto passiver ist die Freizeitgestaltung. Wer in seiner Arbeit und in der Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit hat oder nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und produktiv zu sein, behält diese Einstellung auch in der Freizeit bei. Er will etwas geboten bekommen, konsumiert die Freizeitangebote wie die Lebensmittel im Supermarkt und ist enttäuscht, wenn sie seinen Erwartungen nicht entsprechen und die Langeweile, aber auch die Angst, nicht vertreiben.

Diese strikte Trennung von Arbeitswelt .und Freizeit und damit die traurige Situation, daß so viele mit ihrer wertvollen freien Zeit nichts anzufangen wissen, ist relativ jungen Datums. Mit Beginn der Industrialisierung und dem Entstehen großer Städte verlor der Mensch die Beziehung zu seiner täglichen Arbeit. Er begann sich als Instrument zu fühlen, dem in einer vorprogrammierten, mechanisierten Welt kaum mehr Möglichkeit zu schöpferischer Tätigkeit und Mitgestaltung seiner Umwelt bleibt. So entstand die noch immer andauernde Diskrepanz zwischen einer dem Menschen entfremdeten und ihn ausbeutenden Arbeitswelt und einer Freizeit, die ihn für diese unausgefüllte Arbeitszeit entschädigen soll.

Das Geburtsland der Animation ist Frankreich und ihr „Erzeuger“ Bertrand Schwarz in den sechziger Jahren, der als der große alte Mann der „education permanente“, der ständigen Weiterbüdung, Kreativi-täts- und Persönlichkeitsentfaltung, gilt In anderen Ländern, die die Animation aufgegriffen haben, hat sie ihren politischen, stark emanzipatorischen Charakter weitgehend verloren. So hat der Begriff Animation überall eine andere Bedeutung. In der BRD beispielsweise überwiegt die konsumorientierte Freizeitanimation, in Italien versteht man unter „anima-zione“ mehr musische Kreativität und Laientheater.

In Österreich hat eine Psychologin, die ihr Animationsdiplom in Frankreich erworben hat, bereits 1970 einen „österreichischen Arbeitskreis für Freizeit“ gegründet: Frau Dr. Gertraud .Czerwenka-Wenkstetten sieht ihre Tätigkeit als Freizeitpädagogik im Rahmen einer Sozialarbeit. Menschen, die mit ihrer Freizeit nicht fertig werden,sogar Angst vor ihr haben, sind sozial und daher auch psychisch krank. Der Animateur, der seine Arbeit ernst nimmt, muß Therapeut sein. Er ist nicht dazu da, Ablenkungen anzubieten, Spiele zu veranstalten oder Angebote zu unterbreiten, sondern sinnvolles Freizeitverhalten zu lehren.

Womit jemand seine Freizeit verbringt, ist nicht das Wesentliche. Daß er sie für sich sinnvoll und als persönlichen Gewinn erlebt, ist wichtig. In dem von Frau Dr. Czerwenka gegründeten Verein haben sich Sozialarbeiter, Lehrer, Statistiker, Mediziner, Kindergärtnerinnen, freiberuflich tätige Künstler und Hausfrauen aller Altersstufen zusammengefunden, die Seminare für alle Alters-, Sozial- und Büdungsgruppen, auch für Geschädigte, veranstalten. Mit Forschungsarbeiten stockt der Verein die Subventionen auf, die ihm seine sozial- und gesellschaftspolitische Arbeit mit Randgruppen ermöglichen, die eine Art sozio-kultureller Entwicklungshilfe sein soll. Immerhin hat der „österreichische Arbeitskreis für Freizeit“ den Status B bei der UNESCO und im Europarat beratende Funktion in Erziehungs- und Sozialfragen.

Schon vor einigen Jahren ist auch in der Abteilung Erwachsenenbildung im Unterrichtsministerium ein Animationsarbeitskreis entstanden, der aber noch zu wenigen konkreten Ergebnissen gefunden hat. Derzeit liegt der Schwerpunkt in der Ausbüdung geeigneter Animateure, die im Bereich der Erwachsenenbildung erfolgen soll.

Eine ansatzweise Ausbildung zum Animateur gibt es in Jugendleiterschulen. In der zwei- bis dreijährigen Katholischen Jugendleiterschule unterrichtet Dr. Manfred Pawlik Soziologie und baut dort Sachwissen in Gruppenprozessen, also Gruppendynarmk, Gruppentherapie und Sozialpädagogik, ein, alles wesentliche Voraussetzungen für die Arbeit als Animateur. Die Jugendleiterschule der Gemeinde Wien, die der Verein Wiener Jugendkreis durchführt, wird kursartig an Wochenenden und Abenden für aktive Mitarbeiter innerhalb der außerschulischen Jugendarbeit, also in Jugendzentren oder Jugendorganisationen, abgehalten.

In der Bundesakademie für Sozialarbeit in der Burggasse ist Dr. Pawlik Berater für den projektorientierten Freizeitunterricht und in der Gemeindeakademie für Sozialarbeit in der Ottakringer Straße unterrichtet er alternierend mit Frau Dr. Czerwenka-Wenkstetten Fest- und Freizeitgestaltung und Freizeitpädagogik. Von einer richtigen Animateurausbildung kann in Österreich jedoch noch keine Rede sein. Auch aktive Animation in Jugendzentren in Form von Gesprächsgruppen und Medienarbeit beispielsweise befindet sich bestenfalls im Anfangsstadium.

Der Wunsch nach einer Ausbildung für hauptamtliche Animateure, die über die reine Freizeitpädagogik hinaus für den gesamten sozialen Arbeitsbereich von Jugendfragen über Volksbildung bis zur Altenarbeit eingesetzt werden können, nimmt immer konkretere Formen an. Das entsprechende Ausbüdungsprogramm des Vereins Wiener Jugendkreis sieht bereits neben einer Jugendleiterausbildung eine spezifische Berufsausbildung für Sozialarbeit, Bewährungshilfe, Erwachsenenbü-dung, Gruppendynamik, Heimerziehung und Medienpädagogik vor.

Die Effizienz jeder Animation wird langfristig aber auch davon abhängen, wieweit sie über die sozialtherapeutische Symptombehandlung hinaus auf das gesellschaftliche Problem einer entfremdeten Arbeitswelt Einfluß nehmen kann.

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